Eine Spur von Verrat
Umstände, nicht der unvermeidliche Lauf der Dinge.
Markham beobachtete ihn neugierig und sichtlich verblüfft. Kein Wunder – er mußte sein Benehmen ja, gelinde gesagt, ungewöhnlich finden. Monk stellte ihm Fragen, die aus dem Munde jedes Polizeibeamten seltsam anmuten würden, aus dem eines rücksichtslosen und absolut selbstherrlichen wie ihm aber völlig unbegreiflich waren.
Monk senkte instinktiv den Kopf und widmete sich dem Zerschneiden seines Hammelfleischs, um wenigstens den Ausdruck in seinen Augen zu verbergen. Er kam sich lächerlich verwundbar vor. Das Ganze war völlig absurd. Er hatte Hermiones Ruf und Leben gerettet, warum kannte er sie plötzlich nicht einmal mehr? Gut, sein damaliges Engagement hätte lediglich auf seinen fanatischen Gerechtigkeitssinn zurückzuführen gewesen sein können – wie jetzt bei Alexandra Carlyon –, doch die Emotionen, die in ihm aufwallten, wann immer er an Hermione dachte, gingen weit über das Verlangen nach der wahrheitsgemäßen Aufklärung eines Falles hinaus. Sie waren tief und absolut persönlich. Wie diese Frau ihn verfolgte, konnte er sie nur aufrichtig geliebt haben. Der Schmerz über den Verlust ihrer Gesellschaft, die so unermeßlich schön, so unsäglich besänftigend gewesen war, war grenzenlos. Sie hatte ihm die Tore zu der besseren Hälfte seines Ichs geöffnet, zu dem Teil der weicher, großzügiger, liebevoller war.
Warum hatten sie sich voneinander getrennt? Wieso hatte er sie nicht geheiratet?
Der Grund war ihm absolut schleierhaft, und das machte ihm angst.
Vielleicht sollte er besser nicht an der Wunde zerren. Sie heilen lassen.
Sie heilte aber nicht. Sie tat immer noch weh, wie ein Abszeß, der unter der neuen Haut weiter schwelte. Markham ließ ihn nicht aus den Augen.
»Sie wollen Mrs. Ward immer noch ausfindig machen?« fragte er.
»Ja. Unbedingt.«
»Tja. Sie hat The Grange verlassen. Vermutlich gab’s zu viele schlechte Erinnerungen dort. Und die Leute hörten nicht auf, über sie zu reden, so sehr ihre Unschuld auch bewiesen war. Sie wissen ja, wie das ist – bei einer solchen Untersuchung kommt immer alles mögliche raus. Dinge, die zwar nichts mit dem Verbrechen zu tun haben, aber trotzdem besser im dunkeln bleiben sollten. Ich schätze, es gibt niemanden, der manches nicht lieber geheimhalten würde.«
»Das glaube ich auch«, pflichtete Monk ihm bei. »Wissen Sie, wo Mrs. Ward hingezogen ist?«
»Zufällig, ja. Sie hat sich drüben in Milton ein kleines Häuschen gekauft. Steht direkt neben der Pfarrei, wenn mich nicht alles täuscht. Von hier aus gibt’s ’nen Zug, falls Sie vorhaben hinzufahren.«
»Danke.« Monk schob einen Bissen vom Nachtisch in seinen ausgedörrten Mund, spülte ihn mit Apfelwein hinunter und bedankte sich nochmals.
Kurz nach Sonntagnachmittag stand er auf der Treppe des georgianischen Steinhauses neben der Pfarrei. Es befand sich in tadellosem Zustand. Ein sauber gejäteter Schotterweg führte zur Tür, gesäumt von Rosensträuchern, die unter dem warmen Schein der Sonne allmählich ihre Knospen entfalteten. Er sammelte seinen Mut, um anzuklopfen. Als er es schließlich tat, geschah es mechanisch. Obwohl er sich dazu entschlossen hatte, war es so gut wie keine Willensfrage. Hätte er auf seine Gefühle gehört, wäre es vermutlich nie dazu gekommen.
Das Warten kam ihm endlos vor. Im Garten hinter ihm schmetterte ein Vogel ein Lied in die Welt, der Wind fuhr raschelnd durch die jungen Blätter der Apfelbäume an der Mauer zur Pfarrei. Irgendwo in der Ferne blökte ein Lamm, gefolgt von dem Antwortruf des Muttertiers.
Dann ging die Tür plötzlich ohne Vorwarnung auf. Er hatte das Näherkommen von Füßen auf der anderen Seite nicht gehört. Ein kesses, hübsches Dienstmädchen schaute ihn erwartungsvoll an. Ihre frischgestärkte Schürze knisterte, ihr Haar steckte ordnungsgemäß zur Hälfte unter einem weißen Spitzenhäubchen.
Monks Stimme versagte ihm den Dienst. Er mußte sich lautstark räuspern, um die Worte gewaltsam hervorzupressen.
»Guten Morgen – ahm, ich meine, guten Tag. Ich – ich bedaure, Sie zu – zu dieser Zeit belästigen zu müssen, aber – ich bin extra aus London hierher gekommen – gestern schon…« Was redete er da bloß für einen Blödsinn. War er jemals derart unfähig gewesen, sich klar auszudrücken? »Dürfte ich bitte mit Mrs. Ward sprechen? Es ist dringend.« Er gab ihr eine Karte, auf der zwar sein Name, aber keine Berufsbezeichnung stand.
Sie
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