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Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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machte ein etwas skeptisches Gesicht, warf jedoch einen eingehenden Blick auf seine glänzenden Stiefel und die fast neue Hose, die an den Knöcheln durch seinen Spaziergang vom Bahnhof hierher etwas verstaubt war – warum auch nicht, an einem so schönen Tag? Sein Mantel war ausgezeichnet geschnitten, Hemdkragen und Ärmelaufschläge blütenweiß. Ganz zum Schluß musterte sie sein Gesicht, das für gewöhnlich einen selbstbewußten Mann mit einiger Befehlsgewalt verriet, nun aber zu einer kläglichen Maske degradiert war. Sie traf ihre Entscheidung.
    »Ich werde sie fragen.« In ihrem Lächeln schwang eine gewisse Belustigung mit, ihre Augen lachten eindeutig. »Wenn Sie bitte ins Empfangszimmer kommen und dort warten wollen, Sir.«
    Er trat ein und wurde in den vorderen Salon geführt, einen Raum, der offensichtlich nicht häufig benutzt wurde. Wahrscheinlich befand sich im hinteren Teil des Hauses ein weniger steriles Wohnzimmer.
    Das Mädchen ließ ihn allein, so daß er Gelegenheit bekam, sich umzusehen. An der Wand neben ihm stand eine hohe, mit wunderschönen Schnitzereien versehene Standuhr. Die bequemen Sessel waren goldbraun, eine Farbe, die er selbst in diesem überwiegend freundlichen Raum mit dem gemusterten Teppich und den geblümten Vorhängen, allesamt in gedämpften, ansprechenden Tönen, als vage bedrückend empfand. Über dem Kaminsims hing ein überaus durchschnittliches Landschaftsgemälde, das vermutlich irgendeinen Flecken im Lake District darstellte; für Monks Geschmack enthielt es zuviel Blau. Ein begrenztes Spektrum von zarten Grau und Brauntönen wäre seiner Ansicht nach schöner und wirkungsvoller gewesen.
    Dann, als sein Blick auf die Sessellehnen fiel, wurde er so unerwartet und heftig von einem Gefühl der Vertrautheit überfallen, daß sich jeder Muskel seines Körpers ruckartig zu verkrampfen schien. Das Motiv der Stickerei auf den Sesselschonern war weißes Heidekraut, umkränzt von einem scharlachroten Band. Er erkannte jeden einzelnen Stich, jeden Blütenkelch, den Schwung jedes Schnörkels.
    Wie absurd! Er wußte inzwischen, daß sie die Frau war. Seit Markhams Bericht bestand daran nicht mehr der geringste Zweifel. Dieser schmerzhafte Anfall von Erinnerung war vollkommen überflüssig, um es ihm noch einmal zu bestätigen. Dennoch handelte es sich dabei um eine völlig andere Art von Wissen – keine rationale Erwartung nämlich, sondern ein echtes Gefühl. Und deshalb war er schließlich hier.
    Draußen vor der Tür erklang das Geräusch schneller, leichter Schritte, dann wurde die Klinke hinuntergedrückt.
    Er erstickte beinah an seinem eigenen Atem.
    Sie kam herein. Keine Frage – sie war es. Dieser schön geformte Kopf mit den weichen, blonden Locken; die weit auseinanderstehenden, braungoldenen Augen mit den langen Wimpern; die vollen, zart geschwungenen Lippen; die schlanke Gestalt. All das war ihm absolut vertraut.
    Auch sie erkannte ihn augenblicklich wieder. Jegliche Farbe wich aus ihrem Gesicht. Sie wurde erst kreidebleich, dann tiefrot.
    »William!« keuchte sie fassungslos, riß sich hastig zusammen und zog die Tür hinter sich zu. »William – was in aller Welt machst du denn hier? Ich hätte nie gedacht – ich meine, ich hätte nie damit gerechnet, dich wiederzusehen.« Ganz langsam kam sie auf ihn zu, die Augen forschend auf sein Gesicht gerichtet.
    Er wollte etwas erwidern, hatte jedoch plötzlich keine Ahnung mehr, was er sagen sollte. In seinem Innern brodelten die unterschiedlichsten Empfindungen; Erleichterung, weil sie seiner Vorstellung von ihr aufs genaueste entsprach – die Sanftheit, die Schönheit, der wache Verstand, alles war da; Angst, weil der Augenblick der Wahrheit unwiderruflich gekommen war und er keine Zeit mehr hatte, sich darauf vorzubereiten. Was dachte sie von ihm, wie stand sie zu ihm, weshalb hatte er sie verlassen? Skepsis sich selbst gegenüber. Wie wenig er den Mann doch kannte, der er einmal gewesen war. Warum war er gegangen? Aus Selbstsucht? Aus mangelnder Bereitschaft, Verpflichtungen gegenüber einer Ehefrau und möglichen Kindern einzugehen? Aus Feigheit? Nein, das bestimmt nicht, aber Egoismus und Stolz kamen durchaus in Frage. Es paßte zu dem Mann, den er nach und nach entdeckte, »William?« Sie wirkte noch bestürzter als vorhin. Schweigen war sie von ihm offenbar nicht gewohnt. »William, was ist los?«
    Wie sollte er es ihr erklären? Er konnte schlecht sagen: Ich habe dich wiedergefunden, aber ich kann mich nicht

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