Eine Spur von Verrat
jünger, als sie war.
»Das hat nichts mit Thaddeus’ Tod zu tun«, erwiderte sie kaum hörbar. »Überhaupt nichts. Es war etwas völlig anderes – etwas…« Ihre Stimme verlor sich im Nichts. Sie zog die Schultern hoch und die Beine etwas mehr an.
»Ich denke, das hat es doch.« Hester konnte sich keine Milde leisten.
Ein geisterhaftes Lächeln glitt über Damaris’ Züge und war sofort wieder verschwunden. Es hatte nicht die Spur Frohsinn enthalten, sondern lediglich bittere Selbstironie.
»Nein, Sie täuschen sich. Sie werden sich mit meinem Ehrenwort begnügen müssen.«
»Das kann ich nicht. Ich akzeptiere, daß Sie es glauben, aber ich akzeptiere nicht, daß es die Wahrheit sein soll.«
Damaris’ Gesicht wurde ganz schmal. »Sie wissen ja nicht, worum es ging, und ich werde es Ihnen auch nicht verraten. Tut mir leid, aber es würde Alexandra nicht helfen, außerdem ist es mein Problem und nicht ihrs.«
Hester spürte, wie sich vor Mitleid und Scham alles in ihr zusammenzog.
»Wissen Sie, warum Alexandra ihn getötet hat?«
»Nein.«
»Ich schon.«
Damaris’ Kopf fuhr ruckartig hoch. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie Hester an.
»Weil er seinen eigenen Sohn zu Inzest und widernatürlicher Unzucht gezwungen hat«, sagte diese ruhig. Ihre Stimme klang in der Stille des Raumes widerlich sachlich, so als hätte sie irgendeine banale Bemerkung gemacht, die binnen weniger Minuten vergessen sein würde. Statt dessen hatte sie etwas Ungeheuerliches beim Namen genannt, das sie beide vermutlich zeit ihres Lebens nicht mehr vergessen konnten.
Damaris stieß weder einen schrillen Schrei aus, noch fiel sie in Ohnmacht. Sie senkte auch nicht den Blick, doch ihre Haut wurde noch weißer, ihre Augen wirkten plötzlich noch eingefallener.
Mit wachsender Beklemmung wurde Hester klar, daß Damaris nicht einmal überrascht war. Sie erweckte den Eindruck eines Menschen, dem man zu guter Letzt doch noch den endgültigen, lang erwarteten Schlag versetzt hatte. Monk hatte also recht gehabt. Ihr war an jenem Abend aufgegangen, daß Peverell die Finger im Spiel hatte. Hester hätte am liebsten für sie geweint, so gut verstand sie ihren Schmerz. Sie sehnte sich danach, Damaris zu berühren, sie in den Arm zu nehmen und zu trösten wie ein schluchzendes Kind, doch das hatte alles keinen Sinn. Nichts konnte diese Wunde mindern oder schließen.
»Sie wußten es, nicht wahr?« fragte sie laut. »Sie wußten es seit diesem Abend.«
»Nein, ich wußte es nicht«, sagte Damaris so tonlos, als ob etwas in ihr bereits abgestorben wäre.
»Doch. Sie wußten, daß Peverell es auch tat, und zwar mit Valentine Furnival. Deshalb waren Sie so außer sich, als Sie nach unten kamen. Sie standen kurz vor einem hysterischen Anfall. Ich weiß nicht, wie es Ihnen überhaupt gelungen ist, sich zusammenzureißen. Ich hätte das nicht geschafft – ich glaube, ich…«
»Großer Gott – nein!« Damaris wurde letzten Endes doch noch vom nackten Grauen gepackt. »Nein!« Sie entwirrte ihre Glieder derart heftig, daß sie halb vom Sofa hinunterglitt und schwerfällig auf dem Boden landete. »Das ist alles nicht wahr! Nicht Pev. Wie können Sie so etwas auch nur denken? Das – das ist völlig – absurd – einfach verrückt! Nicht Pev!«
»Aber Sie müssen es gewußt haben.« Bei Hester regten sich zum erstenmal Zweifel. »War es nicht das, was Sie herausgefunden haben, als Sie oben bei Valentine waren?«
»Nein.« Damaris hockte wie ein neugeborenes Fohlen vor ihr auf dem Boden, die langen Beine an den Knien abgeknickt, und brachte es dennoch fertig, völlig natürlich zu wirken. »Nein! Um Himmels willen, Hester, bitte, glauben Sie mir doch – Sie irren sich!«
Hester rang mit ihren Zweifeln. Konnte das sein?
»Was war es dann?« Sie runzelte die Stirn und zerbrach sich vergebens den Kopf. »Als Sie von Valentine zurückkamen, sahen Sie aus, als ob Sie dem Leibhaftigen persönlich begegnet wären. Warum? Was könnten Sie sonst entdeckt haben? Wenn es nichts mit Alexandra oder Thaddeus oder meinetwegen Peverell zu tun hatte, womit dann?«
»Ich kann es Ihnen nicht sagen.«
»Dann kann ich Ihnen nicht glauben. Rathbone wird Sie in den Zeugenstand rufen. Cassian wurde von seinem Vater sexuell mißbraucht, von seinem Großvater – ja, tut mir leid – und von noch jemandem. Wir müssen herausbekommen, wer diese dritte Person war, und es eindeutig beweisen. Das ist Alexandras einzige Chance.«
Damaris’ Blässe grenzte
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