Eine Spur von Verrat
Fehler nicht noch einmal gemacht haben!«
»Glauben Sie wirklich, er wird es so sehen? Ginge es nicht um mich – ja, dann vermutlich schon. Bei der eigenen Frau sieht das allerdings anders aus.«
»Um Himmels willen – geben Sie ihm eine Chance!«
»Aber wenn er es nicht tut, verliere ich ihn!«
»Und wenn Sie lügen, verliert Alexandra ihr Leben. Was würde Peverell wohl davon halten?«
»Sie haben recht.« Damaris stand langsam auf; ihre gesamte Anmut kehrte plötzlich zurück. »Ich muß es ihm sagen. Gott weiß, wie gern ich es ungeschehen machen würde. Ausgerechnet Charles Hargrave! Ich traue mich kaum, ihm in die Augen zu sehen. Schon gut, schon gut! Fangen Sie nicht wieder an. Ich werde mit Peverell sprechen. Mir bleibt keine andere Wahl – Lügen würden die Lage nur verschlimmern.«
»Ja, das würden sie.« Hester streckte eine Hand aus und drückte Damaris’ Arm. »Es tut mir leid – aber mir blieb auch keine andere Wahl.«
»Ich weiß.« Damaris’ Lächeln enthielt eine Spur ihres alten Charmes, obwohl man ihr die Anstrengung, die es sie kostete, deutlich ansah. »Ich hoffe nur, daß Sie Alex tatsächlich retten können. Ich möchte das Ganze nicht umsonst ausgebadet haben.«
»Ich werde tun, was ich kann. Ich lasse nichts unversucht, das verspreche ich Ihnen.«
12
Alexandra saß mit bleichem, nahezu ausdruckslosem Gesicht auf der Holzpritsche in der engen Gerichtszelle. Sie war erschöpft, die Schlaflosigkeit hatte deutliche Spuren um ihre Augen herum hinterlassen, ihr Haar seinen seidigen Glanz eingebüßt. Zudem erschien sie Rathbone wesentlich dünner als bei ihrer ersten Begegnung.
»Ich kann nicht mehr«, sagte sie kraftlos. »Das hat doch alles keinen Sinn. Es wird Cassian nur schaden – entsetzlich schaden.« Sie atmete tief ein. Er sah, wie sich ihre Brust unter dem dünnen grauen Musselinstoff ihrer Bluse mühsam hob. »Sie werden mir nicht glauben. Warum sollten sie auch? Es gibt keinen Beweis, es wird nie einen geben. Man tut so etwas nicht, wenn man dabei gesehen werden kann.«
»Sie wußten davon«, rief Rathbone ihr ruhig in Erinnerung, während er sich ihr gegenüber auf einem Stuhl niederließ und sie so intensiv mit seinen Augen fixierte, daß sie zwangsläufig irgendwann den Kopf heben und seinem Blick begegnen mußte.
Sie lächelte bitter. »Und wer kauft mir das ab?«
»Darauf wollte ich nicht hinaus«, entgegnete Rathbone geduldig. »Wenn Sie davon wissen konnten, weiß es vielleicht noch jemand anders. Thaddeus wurde selbst als kleiner Junge mißbraucht.«
Ihr Kopf fuhr ruckartig hoch, in ihrem Blick spiegelten sich Mitleid und Überraschung.
»Sie hatten keine Ahnung?« Er schaute sie verständnisvoll an.
»Das dachte ich mir.«
»Wie schrecklich«, flüsterte Alexandra fassungslos. »Aber wenn das tatsächlich stimmt – wie konnte dann ausgerechnet er seinem Sohn so etwas antun? Er muß doch – warum nur? Ich begreife das nicht.«
»Mir geht’s genauso«, gab Rathbone unumwunden zu.
»Allerdings habe ich diesen abgründigen Pfad auch niemals beschritten. Aber ich erzähle es Ihnen eigentlich aus einem völlig anderen Grund, einem wesentlich wichtigeren.« Er brach ab, nicht sicher, ob sie ihm überhaupt zuhörte.
»Ach ja?« fragte sie dumpf.
»Ja. Können Sie sich ausmalen, wie er gelitten haben muß? Die lebenslange Scham, die furchtbare Angst vor der Entdeckung? Vielleicht hatte er sogar eine schwache Vorstellung davon, was er seinem eigenen Kind antat – und war trotzdem unfähig, gegen diesen überwältigenden Trieb anzugehen…«
»Hören Sie auf!« schrie Alexandra auf. »Es tut mir leid! O ja, und wie es mir leid tut! Glauben Sie, es hat mir Spaß gemacht, ihn zu töten?« Ihre Stimme versagte fast unter der unbeschreiblichen Qual. »Ich habe mir den Kopf immer und immer wieder nach einem anderen Weg zerbrochen. Ich flehte ihn an aufzuhören, Cassian auf ein Internat zu schicken – ich versuchte alles, ihn außerhalb seiner Reichweite zu bringen. Ich bot mich ihm selbst an, für jede Praktik, nach der ihm der Sinn stand!« Sie starrte ihm voll ohnmächtigem Zorn ins Gesicht.
»Ich liebte ihn nämlich. Nicht leidenschaftlich, aber ich liebte ihn. Er war der Vater meiner Kinder, und ich hatte das feierliche Versprechen abgelegt, ihm zeit meines Lebens treu zur Seite zu stehen. Ich glaube nicht, daß er mich je wirklich geliebt hat, aber er gab mir alles, wozu er fähig war.«
Sie ließ sich auf der Bank zurücksinken, beugte den Kopf vor
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