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Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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schweren Augenlider…
    »Charles Hargrave«, verkündete Damaris kaum hörbar, und Hester wußte augenblicklich, daß sie die Wahrheit sprach: die Augen, die Größe, die Haltung, die Schulterform.
    Dann kam ihr ein anderer häßlicher Gedanke in den Sinn und weigerte sich hartnäckig, zum Schweigen gebracht zu werden.
    »Aber warum hat Sie das so furchtbar aufgeregt? Sie waren völlig außer sich, als Sie wieder herunterkamen, nicht erschüttert, sondern außer sich! Wieso? Selbst wenn Peverell dahintergekommen wäre, daß Valentine Hargraves Sohn ist – und ich gehe einmal davon aus, daß er keine Ahnung hat –, selbst wenn er die Ähnlichkeit zwischen den beiden bemerkt hätte, gibt es doch keinen Grund, weshalb er Sie damit in Verbindung bringen sollte.«
    Damaris schloß die Augen. Ihre Stimme klang vor Elend blechern.
    »Ich wußte nicht, daß Thaddeus Cassian mißbraucht hat, ehrlich nicht, aber ich wußte sehr gut, daß er von Papa mißbraucht worden war – als kleiner Junge. Ich merkte es an dem Ausdruck in seinen Augen, an dieser Mischung aus Angst und Aufgeregtsein, dem Kummer und der Verwirrung, diesem eigenartigen, klammheimlichen Vergnügen. Wenn ich mir Cass jemals genau angesehen hätte, wäre es mir bei ihm vermutlich auch aufgefallen – aber ich tat es nicht. Nicht, daß ich etwa viel Zeit mit ihm verbracht hätte –, was ich eigentlich hätte tun sollen. Ich wußte über Thaddeus Bescheid, weil ich es einmal mitangesehen hatte. Ich konnte es nie wieder vergessen.«
    Hester wollte etwas sagen, doch es fiel ihr nichts Passendes ein.
    »Valentine hatte genau denselben Ausdruck im Gesicht«, fuhr Damaris mit gepreßter Stimme fort, als würde ihre Kehle innerlich brennen. »Mir war sofort klar, daß er ebenfalls sexuell mißbraucht wird. Ich dachte, von Maxim; ich habe den Mann so sehr gehaßt, daß ich ihn am liebsten umgebracht hätte. Daß es Thaddeus war, kam mir überhaupt nicht in den Sinn. O Gott! Die arme Alex.« Sie mußte fast würgen. »Kein Wunder, daß sie ihn getötet hat. Ich an ihrer Stelle hätte genauso gehandelt. Hätte ich eine Ahnung gehabt, daß er derjenige war, wäre es wahrscheinlich auch geschehen. Aber ich hatte keine Ahnung. Vermutlich nahm ich einfach an, so was täten immer die Väter.«
    Sie lachte hart auf, und ihr Tonfall nahm wieder einen leicht hysterischen Beiklang an. »Mich hätten Sie genausogut verdächtigen können. Ich wäre ebenso schuldig gewesen wie Alexandra – wenn nicht in Taten, dann doch zumindest in Gedanken. Nur mein Unvermögen hat mich zurückgehalten, sonst nichts.«
    »Viele Menschen sind nur deshalb unschuldig, weil es ihnen an Gelegenheit oder an Mitteln fehlt«, sagte Hester freundlich.
    »Seien Sie nicht so hart mit sich. Wer weiß, ob Sie es tatsächlich getan hätten, wenn eine Gelegenheit gekommen wäre.«
    »Ganz bestimmt!« Damaris’ Ton enthielt nicht den geringsten Zweifel. Sie blickte fragend zu Hester auf. »Können wir denn gar nichts für Alex tun? Es wäre grauenhaft, wenn sie dafür hängen müßte. Jede Mutter, die auch nur ein bißchen taugt, hätte dasselbe getan.«
    »Sagen Sie aus«, erwiderte Hester wie aus der Pistole geschossen. »Erzählen Sie die Wahrheit. Wir müssen die Geschworenen überzeugen, daß es die einzige Möglichkeit für sie war, ihr Kind zu retten.«
    Damaris’ Augen füllten sich mit Tränen; sie schaute rasch weg.
    »Muß ich das mit Valentine erwähnen? Peverell weiß nichts davon. Bitte…«
    »Sagen Sie es ihm selbst«, riet Hester. »Er liebt Sie – und er müßte eigentlich wissen, daß Sie ihn ebenfalls lieben.«
    »Aber Männer vergeben nicht so leicht – nicht solche Dinge.« Hester fühlte sich angesichts der Verzweiflung in Damaris’ Stimme hundsmiserabel. Sie hoffte immer noch entgegen aller Wahrscheinlichkeit, daß Peverell nicht derjenige war.
    »Peverell ist nicht ›die Männer‹«, brachte sie mühsam hervor.
    »Beurteilen Sie ihn nicht anhand der großen Masse. Geben Sie ihm die Chance, das Beste zu sein, was – was er sein kann.«
    Klangen ihre Worte so hoffnungslos und leer, wie ihr zumute war? »Geben Sie ihm die Möglichkeit, zu verzeihen und Sie so zu lieben, wie Sie sind, nicht so, wie er Sie Ihrer Meinung nach gern hätte. Es war ein Fehler, von mir aus auch eine Sünde – aber wir alle sündigen auf die eine oder andere Art. Was zählt, ist, daß Sie daraus gelernt haben, daß Sie weiser und verständnisvoller andern gegenüber geworden sind und daß Sie denselben

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