Eine Spur von Verrat
mittlerweile an ein fahles Grau. Sie schien um Jahre gealtert.
»Ich kann nicht! Es – es wäre Pevs Ende.« Sie sah Hesters Gesicht und fügte hastig hinzu: »Nein, nicht was Sie jetzt denken! Ich schwöre bei Gott, das ist es nicht.«
»Das wird man Ihnen niemals abnehmen«, sagte Hester vollkommen ruhig, obwohl sie im selben Moment wußte, daß es gelogen war – sie tat es bereits. »Was sollte es sonst sein?«
Damaris vergrub den Kopf in den Händen und begann sehr leise zu sprechen. Ihre Stimme barst fast unter der Last ungeweinter Tränen.
»Bevor ich Pev kennenlernte, ich war zu der Zeit noch ziemlich jung, verliebte ich mich in einen anderen Mann. Eine ganze Weile geschah nichts. Ich liebte ihn auf– auf eine völlig unschuldige Art. Dann hatte ich plötzlich das Gefühl, ihn zu verlieren. Ich – ich liebte ihn wahnsinnig, zumindest dachte ich das damals, und dann…«
»Haben Sie mit ihm geschlafen«, sprach Hester das Offensichtliche aus. Sie war nicht im geringsten schockiert. Hätte sie Damaris’ Schönheit und wilden Idealismus besessen, hätte sie vermutlich nichts anderes getan. Und selbst ohne das, wenn sie genügend verliebt gewesen wäre…
»Ja«, bestätigte Damaris mit erstickter Stimme. »Ich konnte ihn nicht halten – ich glaube sogar, daß ich ihn dadurch endgültig verloren habe.«
Hester schwieg. Da war offenbar noch mehr; davon allein hätte sie kaum soviel Aufhebens gemacht.
Damaris fuhr fort, wobei sie nur mit Mühe schaffte, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten: »Ich merkte bald, daß ich schwanger war. Thaddeus hat mir geholfen. Das habe ich gemeint, als ich sagte, er könnte sehr hilfsbereit sein. Mama hatte keine Ahnung. Thaddeus arrangierte alles so, daß ich eine Weile von zu Hause weg war und daß das Kind adoptiert wurde. Es war ein Junge. Ein einziges Mal durfte ich ihn im Arm halten – er war wunderschön.« Sie konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. Von stoßweisen Schluchzern begleitet, brachen sie aus ihr hervor, so heftig, daß ihr ganzer Körper zuckte. Sie hatte dem nichts mehr entgegenzusetzen.
Hester ließ sich auf den Boden gleiten, nahm sie in den Arm und hielt sie ganz fest. Sie strich ihr übers Haar, bis sich der Sturm gelegt hatte und sie völlig erschöpft zurückließ. Nach all den Jahren hatten sich Kummer und Scham endlich Bahn gebrochen.
Viele Minuten später, als Damaris sich schließlich beruhigt hatte, begann Hester wieder zu sprechen.
»Und was haben Sie an jenem Abend erfahren?«
»Ich erfuhr, wo er war.« Damaris zog geräuschvoll die Nase hoch und setzte sich auf, um nach einem Taschentuch zu greifen – einem blödsinnigen Ding aus Spitze und Kambrik, viel zu klein, um zu irgend etwas nütze zu sein.
Hester stand auf, ging in die angrenzende Toilette und tränkte ein Handtuch in kaltem Wasser. Sie wrang es aus, entdeckte im Schränkchen über dem Waschbecken ein großes weiches Leinentuch, trug beides ins Zimmer zurück und drückte es Damaris wortlos in die Hand.
»Besser?« fragte sie nach einer Weile.
»Ja. Vielen Dank.« Damaris blieb wie gehabt auf dem Boden sitzen. »Ich erfuhr, wo er war«, wiederholte sie halbwegs gefaßt. Sie war viel zu ausgelaugt, um noch zu irgendeiner stärkeren Gefühlsregung imstande zu sein. »Ich erfuhr, was Thaddeus arrangiert hatte. Wo der Kleine… hingekommen war.«
Hester nahm ihren ursprünglichen Platz wieder ein und wartete.
»Zu den Furnivals«, sagte Damaris mit einem schwachen, ungeheuer traurigen Lächeln. »Valentine Furnival ist mein Sohn. Ich wußte es auf Anhieb. Verstehen Sie, ich hatte ihn jahrelang nicht gesehen, seit er ein kleines Kind war nicht mehr – in Cassians Alter ungefähr oder noch jünger. Eigentlich kann ich Louisa nicht ausstehen, weshalb ich auch nicht sehr oft dort gewesen bin – und wenn doch, war er entweder in der Schule, oder, als er noch jünger war, schon im Bett. An diesem speziellen Abend war er nur zu Hause, weil er die Masern hatte. Er war auf einmal so groß, so – erwachsen – und…« Sie holte tief und recht zittrig Luft. »Er sah seinem Vater plötzlich unglaublich ähnlich.«
»Seinem Vater?« Hester dachte angestrengt nach, ein im Grunde unsinniges Unterfangen. Es bestand nicht der geringste Anlaß zu glauben, daß sie denjenigen kannte; im Gegenteil, es sprach sogar alles dafür, daß dies nicht der Fall war. Dennoch rumorte da etwas in einem abgelegenen Winkel ihres Geistes – eine Geste, der Blick, die Haarfarbe, die
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