Eine Spur von Verrat
gebieten.«
»Jawohl, Euer Ehren. Die Köchin warf Miss Buchan vor, als Erzieherin für Cassian untauglich zu sein. Sie meinte, Miss Buchan wäre… Es fielen jede Menge Schimpfwörter, Euer Ehren. Ich würde sie lieber nicht wiederholen.«
Rathbone spielte kurz mit dem Gedanken, sie dennoch dazu anzuhalten. Geschworene waren ein wenig Unterhaltung zwar beileibe nicht abgeneigt, doch es würde ihren Respekt vor Miss Buchan schmälern, die für den Ausgang des Prozesses vielleicht entscheidend war. Nein, das bißchen Gelächter wäre in der Tat zu teuer erkauft.
»Bitte, ersparen Sie uns das«, sagte er laut. »Die Thematik des Streits reicht vollkommen aus. Die Tatsache, daß Schimpfwörter fielen, könnte jedoch auf die Tiefe ihrer Empfindungen hinweisen.«
Edith mußte abermals kurz lächeln und fuhr fort: »Die Köchin meinte, Miss Buchan würde ihn auf Schritt und Tritt verfolgen und ihn völlig durcheinanderbringen, indem sie ihm erzähle, seine Mutter liebe ihn doch und sei ganz und gar keine böse Frau.« Sie schluckte schwer und wirkte sichtlich beunruhigt. Sie hatte offenkundig keinen Schimmer, welches Ziel Rathbone verfolgte. Die Geschworenen gaben keinen Laut von sich, starrten sie nur wie gebannt an. Die Spannung hatte wieder Einzug gehalten im Saal. Die Menge verhielt sich mucksmäuschenstill, selbst Alexandra schien vorübergehend völlig selbstvergessen.
»Eine Ansicht, welche die Köchin nicht teilen konnte?«
»Die Köchin fand, Alexandra sollte hängen.« Edith brachte das Wort nur schwer über die Lippen. »Und daß sie selbstverständlich böse sei. Cassian müsse das wissen und damit leben lernen.«
»Und wie reagierte Miss Buchan darauf?«
»Sie sagte, die Köchin hätte keine Ahnung, wäre eine durch und durch dumme Person und sollte in ihrer Küche bleiben, wo sie hingehört.«
»Wissen Sie, worauf Miss Buchan sich bezog?« fragte Rathbone leise, deutlich und ohne jede Theatralik.
»Nein.«
»War eine Miss Hester Latterly bei diesem Wortgefecht zugegen?«
»Ja.«
»Ging Miss Latterly mit Miss Buchan nach oben, nachdem Sie die beiden Kampfhähne auseinandergebracht hatten?«
»Ja.«
»Und verließ sie dann wenig später recht überstürzt und ohne Angabe von Gründen das Haus?«
»Ja, aber wir hatten keinen Streit miteinander«, versicherte Edith hastig. »Sie schien plötzlich etwas Wichtiges erledigen zu müssen.«
»Ja, Mrs. Sobell, das ist mir bekannt. Sie kam geradewegs zu mir. Vielen Dank, ich habe keine weiteren Fragen an Sie. Bitte, behalten Sie Platz, falls mein verehrter Herr Kollege noch welche haben sollte.«
Im Saal ertönte ein gleichmäßiges Rascheln und Seufzen. Ein paar Leute stupsten sich verstohlen in die Rippen. Die heißersehnte Enthüllung war nicht eingetroffen. Noch nicht.
Lovat-Smith erhob sich von seinem Platz und schlenderte gemächlich zum Zeugenstand hinüber, die Hände lässig in den Taschen.
»Seien Sie bitte einmal ganz ehrlich, Mrs. Sobell, so sehr Sie auch mit Ihrer Schwägerin mitfühlen. Steht irgend etwas von dem, was Sie uns gerade berichtet haben, in direktem Zusammenhang mit dem tragischen Tod Ihres Bruders?«
Edith zögerte, warf einen hilfesuchenden Blick in Rathbones Richtung.
»Nein, Mrs. Sobell!« wurde sie prompt von Lovat-Smith verwarnt. »Antworten Sie bitte nach eigenem Ermessen! Können Sie mir irgendeinen Bezug nennen zwischen der sehr verständlichen Verwirrung und Bestürzung Ihres Neffen ob der Ermordung seines Vaters sowie dem Geständnis und der Inhaftierung seiner Mutter und diesem unterhaltsamen, aber vollkommen irrelevanten Streit zwischen zweien Ihrer Dienstboten?« Er machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Vom Gegenstand dieser Verhandlung ganz zu schweigen – ob Alexandra Carlyon nämlich der vorsätzlichen Tötung ihres Ehemannes schuldig ist oder nicht? Ich möchte Ihnen nur den Grund unseres Hierseins in Erinnerung rufen, falls Sie – wie wir alle – nach diesem ganzen Unsinn dazu neigen sollten, ihn zu vergessen.«
Doch damit war er zu weit gegangen. Er hatte versucht, die Tragödie zu banalisieren.
»Ich weiß es nicht, Mr. Lovat-Smith.« Edith hatte ihre Gelassenheit wieder; ihre Stimme klang grimmig und besaß einen schneidenden Unterton. »Wie Sie eben selbst bemerkten, sind wir hier, um die Wahrheit herauszufinden, nicht um sie voreilig festzulegen. Ich habe keine Ahnung, warum Alexandra ihn ermordet hat, und ich möchte es gern wissen. Es darf nicht außer acht gelassen werden.«
»Ganz
Weitere Kostenlose Bücher