Eine Spur von Verrat
hat Thaddeus schöne Augen gemacht. Dann könnte ihr Ehemann doch mehr hineininterpretiert haben, als da tatsächlich war, und selbst der Eifersucht anheim gefallen sein.«
Edith legte die Hände vors Gesicht, beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie.
»Ich hasse das!« stieß sie erbittert aus. »Alle Beteiligten gehören entweder zur Familie oder sind Freunde. Und einer von ihnen muß es gewesen sein.«
»Ja, es ist furchtbar«, pflichtete Hester ihr bei. »Soviel weiß ich noch von den anderen Verbrechen, deren Aufklärung ich miterlebt habe: Man lernt die Menschen kennen, ihre Träume und Sorgen, ihre Kränkungen – und egal wer es ist, es tut einem weh. Man kann sich nicht einfach abgrenzen und sagen ›die‹, nicht ›wir‹.«
Edith nahm die Hände vom Gesicht und blickte überrascht auf. Sie schien einen Streit vom Zaun brechen zu wollen, doch dann ließ ihre Empörung nach. Sie hatte anscheinend akzeptiert, daß Hester jedes Wort ehrlich meinte.
»Schauderhaft!« Sie atmete langsam aus. »Irgendwie bin ich immer davon ausgegangen, daß es eine Schranke gibt zwischen mir und den Leuten, die zu so etwas fähig sind. Sich vorzustellen, daß mich das Elend einer ganzen Klasse von Menschen nicht betrifft…«
»Das gelingt nur mit einer Portion Unaufrichtigkeit.« Hester stand auf und trat zu dem hohen Bodenfenster, das auf den Garten hinausging. Es bestand aus drei verschiebbaren Teilen, deren oberer und unterer geöffnet waren. Der sonnenlichtgetränkte Duft von Goldlack stieg ihr in die Nase.
»Über all dem Tumult infolge der schlimmen Nachrichten habe ich beim letztenmal ganz vergessen, dir zu sagen, daß ich mir Gedanken über eine passende Tätigkeit für dich gemacht habe. Ich denke, als Bibliothekarin wärst du am besten aufgehoben.« Sie beobachtete, wie der Gärtner mit einem Tablett voller Setzlinge über den Rasen lief. »Oder als Forschungsassistentin bei jemandem, der eine Abhandlung oder Monographie schreiben möchte. Dein Lohn wird kaum ausreichen, um ein völlig unabhängiges Leben zu führen, aber du kämst wenigstens tagsüber aus dem Haus.«
»Als Krankenschwester nicht?« Edith konnte nicht verhindern, daß sich ein enttäuschter und verlegener Ton in ihre Stimme schlich. Hester wurde mit einem Mal beschämend klar, wie sehr Edith sie bewunderte. Was sie wirklich wollte, war, das gleiche zu tun wie Edith, nur hatte sie sich bisher gescheut, es zuzugeben.
Mit brennenden Wangen rang sie nach einer Antwort, die zugleich ehrlich und nicht taktlos war. Ausweichen kam nicht in Frage.
»Nein. Es ist sehr schwer, eine Privatanstellung zu finden, selbst wenn man hochqualifiziert ist. Es wäre wesentlich besser, deine persönlichen Stärken zum Einsatz zu bringen.« Sie mied Ediths Blick; die Freundin brauchte nicht zu merken, daß sie durchschaut war. »Es gibt wirklich faszinierende Leute, die einen Bibliothekar, einen wissenschaftlichen Assistenten oder einfach einen sprachbegabten Menschen suchen, der ihre Arbeiten niederschreibt. Vielleicht findest du sogar jemanden, der sich mit einem Thema beschäftigt, das dich reizt.«
»Zum Beispiel?« Edith klang alles andere als begeistert.
»Nun, da gibt’s doch jede Menge.« Hester setzte eine betont fröhliche Miene auf und wandte sich zu ihr um. »Archäologie, Geschichte, Forschungsreisen…« Sie hielt inne, denn in Ediths Augen flackerte endlich echtes Interesse auf. Zutiefst erleichtert begann sie zu lächeln; sie spürte ein völlig irrationales Glücksgefühl in sich hochsteigen. »Warum nicht? Frauen spielen neuerdings häufiger mit dem Gedanken, in die exotischsten Länder zu reisen nach Ägypten, in die Magrebwüste, ja sogar nach Afrika.«
»Afrika! Ohhh…«, hauchte Edith kaum hörbar. Ihr Selbstvertrauen kehrte zurück, die Niedergeschlagenheit verwandelte sich in Optimismus. »Ja. Genau das werde ich tun, wenn diese Geschichte hier vorbei ist. Vielen Dank, Hester – du glaubst nicht, wie sehr du mir geholfen hast!«
In diesem Moment wurden sie unterbrochen, denn die Tür tat sich auf und Damaris kam herein. Diesmal bot sie einen ganz anderen Anblick. Die bunt zusammengewürfelte, jedoch eindeutig feminine Aufmachung vom letztenmal war durch Reitkleider ersetzt worden, in denen sie dynamisch und knabenhaft wirkte wie ein hübscher junger Bursche aus südlichen Gefilden. Hester wußte auf Anhieb, daß der Effekt absolut beabsichtigt war.
Sie mußte unwillkürlich schmunzeln. Sie war schon wesentlich weiter
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