Eine Spur von Verrat
tatsächlich sprechen möchte, kann sie doch einen Termin vereinbaren und ihn in seiner Kanzlei aufsuchen, so wie jeder andere auch. Sie wird ihre Privatangelegenheiten kaum in unserer Runde diskutieren wollen, und das obendrein beim Essen. Du mußt dich irren, Damaris. Oder ist das wieder dein seltsamer Sinn für Humor? Falls ja, ist er völlig unangebracht. Ich verlange, daß du dich entschuldigst und so etwas in Zukunft unterläßt.«
»Es war kein Scherz, Mama«, entgegnete Damaris schlagartig ernüchtert. »Es soll Alex helfen, und deshalb erscheint mir eine Diskussion in dieser Runde vollkommen geeignet. Schließlich ist die ganze Familie in gewisser Hinsicht betroffen.«
»Wirklich?« Felicias Blick blieb unerbittlich auf ihre Tochter gerichtet. »Und was, bitte, kann Miss Latterly für Alexandra tun? Daß Alexandra tragischerweise den Verstand verloren zu haben scheint geht nur uns etwas an.« Die Haut über ihren Wangenknochen straffte sich, als rechnete sie mit einem Schlag.
»Dagegen kennen auch die besten Ärzte kein Mittel – und nicht einmal Gott kann das Geschehene ungeschehen machen.«
»Aber wir wissen doch gar nicht genau, was passiert ist, Mama«, gab Damaris zu bedenken.
»Wir wissen, daß Alexandra den Mord an Thaddeus gestanden hat«, sagte Felicia marmorkalt, um den tiefen Schmerz zu verbergen, der hinter den Worten lag. »Wir können sehr wohl auf eigene Faust Ärzte finden, die dafür sorgen, daß Alexandra in eine entsprechende Anstalt eingewiesen wird – zu ihrem Wohl, und zum Wohl der Gemeinschaft.« Zum erstenmal, seit das Thema zur Sprache gekommen war, wandte sie sich direkt an Hester. »Möchten Sie ein wenig Suppe, Miss Latterly?«
»Ja, gern. Vielen Dank.« Mehr fiel Hester nicht ein; keine Entschuldigung, keine Erklärung – nichts. Das hier übertraf ihre schlimmsten Erwartungen! Sie hätte die Einladung einfach ablehnen, mit Edith das Notwendigste durchgehen und den Rest Peverell überlassen sollen. Leider war es dazu jetzt zu spät.
Felicia nickte dem Mädchen zu, das daraufhin die Terrine brachte und von Totenstille umgeben die Suppe servierte.
Nach einigen Löffeln sagte Randolf: »Nun, Miss Latterly – wenn Sie uns keinen Arzt empfehlen wollen, was wollen Sie dann?«
Felicia blickte ihn scharf an, doch er beschloß kurzerhand, sie zu ignorieren.
Hester hätte ihm am liebsten gesagt, daß es eine Sache zwischen ihr und Peverell war, aber sie wagte es nicht. Ihr fiel keine Erwiderung ein, die auch nur annähernd höflich gewesen wäre. Sie schaute ihn wortlos an, und sein bitterböser Blick ging ihr durch Mark und Bein.
Die Tischgesellschaft hüllte sich in Schweigen. Niemand kam ihr zu Hilfe, als hätte auch die anderen plötzlich der Mut verlassen.
»Ich…« Sie holte tief Luft und setzte ein zweites Mal an. »Ich kenne einen erstklassigen Strafverteidiger, der schon die aussichtslosesten Fälle übernommen und gewonnen hat. Ich dachte – ich dachte, Mr. Erskine würde vielleicht seine Dienste für Mrs. Carlyon in Anspruch nehmen wollen.«
Felicias Nasenflügel bebten; in ihren Augen blitzte kalte Wut.
»Herzlichen Dank, Miss Latterly, aber ich dachte eigentlich, ich hätte mich bereits unmißverständlich ausgedrückt. Wir brauchen keinen Strafverteidiger. Meine Schwiegertochter hat den Mord gestanden; es wird keine Verteidigung geben. Wir müssen lediglich dafür sorgen, daß sie so diskret wie möglich in die am besten geeignete Anstalt eingewiesen wird.«
»Aber sie ist vielleicht unschuldig, Mama«, warf Edith vorsichtig ein; ihr Ton hatte jegliche Kraft und Begeisterung verloren.
»Und warum hat sie die Tat dann zugegeben, Edith?« fragte Felicia, ohne sie eines Blickes zu würdigen.
Ediths Gesicht wurde hart. »Um Sabella zu decken. Alex ist nicht verrückt, das wissen wir alle. Aber Sabella vielleicht…«
»Unsinn!« sagte Felicia scharf. »Nach der Geburt ihres Kindes war sie emotional ein wenig instabil. Das passiert manchmal. Und geht wieder vorbei.« Resolut brachen ihre Finger über einem Teller zu ihrer Linken ein Stück dunkles Brot entzwei. »Während dieser depressiven Verstimmungen kommt es gelegentlich vor, daß Frauen ihre Kinder umbringen, aber doch nicht ihre Väter. Du solltest nicht über Dinge reden, von denen du nichts verstehst.«
»Sie hat Thaddeus gehaßt!« So leicht gab Edith sich nicht geschlagen. Zwei hektische roten Flecken prangten auf ihren Wangen. Hester wurde plötzlich klar, daß die Anspielung auf Ediths
Weitere Kostenlose Bücher