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Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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in solche verbotenen Bereiche rauher Männlichkeit vorgestoßen als Damaris, hatte rohe Gewalt, Krieg und Ritterlichkeit gesehen. Sie hatte ehrliche Freundschaften erlebt, in denen es keine Schranken gab zwischen Männern und Frauen, in denen die Gespräche nicht von gesellschaftlichen Normen, sondern von aufrichtigen Gedanken und Gefühlen bestimmt wurden, in denen man Seite an Seite für eine gemeinsame Sache kämpfte, wo nur Mut und Können zählten. Es stieß sie keineswegs vor den Kopf, daß Damaris auf diese Art und Weise gegen die bestehenden Gesellschaftsstrukturen rebellierte, und beleidigt fühlte sie sich erst recht nicht.
    »Guten Tag, Mrs. Erskine«, rief sie munter. »Es freut mich sehr, daß Sie trotz der schweren Zeiten so blendend aussehen.« Damaris’ Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. Sie machte die Tür hinter sich zu und lehnte sich gegen die Klinke.
    »Edith hat gesagt, Sie würden zu einem befreundeten Anwalt gehen, der absolut erstklassig ist. Stimmt das?«
    Hester, die keine Ahnung gehabt hatte, daß Damaris eingeweiht war, fühlte sich ein wenig überrumpelt.
    »Ahm – ja.« Ausflüchte halfen jetzt gar nichts. »Glauben Sie, Mr. Erskine könnte etwas dagegen haben?«
    »I wo, bestimmt nicht. Bei Mama bin ich mir allerdings nicht so sicher. Bleiben Sie doch zum Lunch, dann können Sie uns Genaueres berichten.«
    Hester warf Edith einen verzweifelten Blick zu und hoffte, sie würde sie aus dieser mißlichen Lage befreien. Sie hatte Edith lediglich über Rathbones Worte informieren wollen, so daß es ihr überlassen blieb, Peverell Erskine zu unterrichten; der Rest der Familie konnte es dann von ihm erfahren. Nun sah es so aus, als ob sie ihnen allen am Mittagstisch gegenübersitzen müßte.
    Edith indes schien nichts von Hesters Dilemma zu bemerken. Sie sprang auf und lief zur Tür.
    »Eine gute Idee. Ist Pev zu Hause?«
    »Ja – der Zeitpunkt wäre perfekt.« Damaris drehte sich um und drückte die Klinke hinunter. »Wir müssen so bald wie möglich handeln.« Sie strahlte Hester an. »Das ist wirklich sehr nett von Ihnen.«
    Das Speisezimmer war mit erheblich zu vielen und bei weitem zu stark verschnörkelten Möbelstücken ausstaffiert, das hochmoderne türkisfarbene Eßservice überreich gemustert und vergoldet. Felicia und Randolf saßen bereits, er selbstverständlich am Kopfende der Tafel. Im Gegensatz zu dem schlaffen und unauffälligen Eindruck, den er zuletzt beim Tee gemacht hatte, wirkte er diesmal wesentlich größer und eindrucksvoller. Sein Gesicht war bedrückt und von tiefen Falten durchzogen, die eine aus Sturheit und Resignation geborene Unbeweglichkeit verrieten. Hester versuchte, ihn sich als jungen Mann vorzustellen. Wie war es wohl gewesen, in ihn verliebt zu sein? Hatte er umwerfend ausgesehen in Uniform? War damals wenigstens eine Spur Humor oder gar Witz in seinen Zügen zu finden gewesen? Menschen verändern sich mit den Jahren; sie werden enttäuscht, ihre Träume zerschlagen. Zudem traf sie zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt mit ihm zusammen. Sein Sohn war soeben ermordet worden, und das – was weitaus schlimmer war – höchstwahrscheinlich von einem Mitglied der eigenen Familie.
    »Guten Tag, Mrs. Carlyon. Colonel Carlyon«, sagte sie höflich und versuchte krampfhaft, die Gedanken an die Auseinandersetzung, die bei der Erwähnung von Oliver Rathbones Namen förmlich vorprogrammiert war, zumindest vorübergehend aus ihrem Geist zu verbannen.
    »Guten Tag, Miss Latterly«, erwiderte Felicia steif. Zum Zeichen ihrer Verwunderung zog sie die Brauen gerade so weit hoch, wie es ihr Gefühl für Anstand erlaubte. »Wie reizend, daß Sie uns Gesellschaft leisten. Welchem Umstand verdanken wir diesen zweiten Besuch innerhalb so kurzer Zeit?«
    Randolf murmelte etwas Unverständliches. Ihr Name war ihm offenbar entfallen, folglich hatte er außer einer kurzen Zurkenntnisnahme ihrer Anwesenheit nichts zu sagen.
    Peverell wirkte gutmütig und liebenswürdig wie immer, lächelte sie jedoch lediglich stumm an.
    Felicia wartete demonstrativ auf eine Antwort; es war anscheinend doch keine rein rhetorische Frage gewesen.
    Damaris steuerte mit schwachem Hüftschwung auf ihren Platz zu und ließ sich nieder, ohne auf den mißbilligenden Blick ihrer Mutter zu achten.
    »Sie ist hier, um mit Peverell zu sprechen«, verkündete sie in unbekümmertem Tonfall. Felicias Verärgerung wuchs.
    »Beim Lunch?« fragte sie mit eisiger Verblüffung. »Wenn sie Peverell

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