Eine Spur von Verrat
zwischenmenschlichen Beziehungen haben ihre burlesken und lächerlichen Seiten.« Er zerbrach sich nicht länger den Kopf über den Grund ihres Kommens, blieb jedoch weiterhin kerzengerade sitzen und schaute sie erwartungsvoll an.
Hester, die eine eigenartige, tragikomische Belustigung in sich hochsteigen spürte, unterdrückte mit Mühe ein Lächeln.
»Gut möglich, daß sie schuldig ist«, sagte sie statt dessen.
»Was mich stutzig macht, ist allerdings die Tatsache, daß Edith Sobell, General Carlyons Schwester, fest an ihre Unschuld glaubt. Edith ist sich ganz sicher, daß Alexandra nur gestanden hat, um ihre Tochter Sabella Pole zu decken, die außerordentlich labil zu sein scheint und ihren Vater gehaßt hat.«
»Und auch anwesend war?«
»Ja. Laut Damaris Erskine, der anderen Schwester des Generals, die sich ebenfalls auf der unglückseligen Dinnerparty befand, gab es gleich mehrere Personen, die ihn über die Brüstung hätten stoßen können.«
»Ich kann Mrs. Carlyon nicht vertreten, wenn sie es nicht will«, gab Rathbone zu bedenken. »Die Carlyons verfügen zweifelsohne über einen eigenen Rechtsberater.«
»Peverell Erskine, Damaris’s Gatte, fungiert als Familienanwalt. Edith versicherte mir, daß er nichts dagegen hat, den besten verfügbaren Strafverteidiger zu engagieren.«
Der Hauch eines Lächelns spielte um seinen feingeschnittenen Mund. »Vielen Dank für das unterschwellige Kompliment.«
Sie ignorierte die Bemerkung aus purer Verlegenheit.
»Wären Sie bereit, sich mit Alexandra Carlyon in Verbindung zu setzen und sich den Fall zumindest durch den Kopf gehen zu lassen?« fragte sie ernst; die Dringlichkeit der Angelegenheit half ihr, ihre Unsicherheit zu überwinden. »Ich fürchte, andernfalls steckt man sie bis zu ihrem Lebensende in eine psychiatrische Anstalt für geistesgestörte Verbrecher, damit der gute Name der Familie nicht besudelt wird.« Sie beugte sich ein wenig vor. »Diese Anstalten sind die Hölle auf Erden – und für jemanden, der geistig völlig gesund ist und lediglich versucht, seine Tochter zu schützen, um einiges schlimmer als der Tod.«
Das amüsierte Leuchten in Rathbones Augen war wie weggeblasen. Er wußte, welche grauenhaften Zustände in derartigen Einrichtungen herrschten, und dieses Wissen stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Sein Entschluß stand fest.
»Ich werde mich mit der Angelegenheit auseinandersetzen«, versprach er. »Wenn Sie Mr. Erskine bitten, mich einzuweisen und offiziell damit zu beauftragen, bei Mrs. Carlyon vorzusprechen, gebe ich Ihnen mein Wort, daß ich mich nach Kräften bemühen werde. Obwohl das natürlich nicht bedeutet, daß ich sie überreden kann, mir die Wahrheit zu sagen.«
»Vielleicht könnten Sie Mr. Monk für zusätzliche Ermittlungen engagieren, falls Sie…« Sie brach jäh ab.
»Auch darüber werde ich mit Sicherheit nachdenken. Bisher haben Sie mir aber noch nicht gesagt, was ihr Motiv war. Hat sie eins angegeben?«
Die Frage traf Hester vollkommen unvorbereitet. Sie hatte ganz vergessen, sich danach zu erkundigen.
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, gab sie betreten zurück, selbst baß erstaunt über ihre grobe Nachlässigkeit.
»Notwehr kommt wohl nicht in Frage.« Er schürzte die Lippen. »Und Mord im Affekt wird schwer zu beweisen sein, abgesehen davon, daß es nicht als Entschuldigung gilt – schon gar nicht für eine Frau. Die Geschworenen würden es äußerst… unschicklich finden.« Da war er wieder, dieser Sinn für schwarzen Humor, als sei er sich der Ironie des Ganzen deutlich bewußt. Es war eine für Männer untypische Eigenschaft und nur einer der zahllosen Gründe, weshalb sie ihn mochte.
»Der Abend muß eine einzige Katastrophe gewesen sein«, fuhr sie fort, während sie sein Gesicht aufmerksam beobachtete.
»Alexandra war anscheinend schon vor ihrer Ankunft furchtbar aufgebracht, so als wären sie und der General aus irgendeinem Grund aneinandergeraten. Und Damaris meinte, Mrs. Furnival, die Gastgeberin, hätte ziemlich offen mit dem General geflirtet – was mir allerdings weniger spektakulär erscheint. Es gibt nicht viele Menschen, die dumm genug sind, daran Anstoß zu nehmen. Mit solchen Dingen muß man eben leben.« Sie registrierte das schwache Kräuseln seiner Mundwinkel und übersah es beflissen.
»Ich sollte besser warten, bis Mr. Erskine an mich herantritt«, sagte er plötzlich wieder ernst. »Dann kann ich selbst mit Mrs. Carlyon sprechen. Ich gebe Ihnen mein
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