Eine Spur von Verrat
registrierte die wachsende Hysterie in ihrer Stimme. Sie war auf dem besten Wege, vollends die Nerven zu verlieren, was ihn nicht sonderlich erstaunte. Ihre Familie war mit einem Schlag durch eine zweifache Tragödie erschüttert worden. Sie hatte praktisch beide Elternteile verloren, und das im Rahmen eines Skandals, der die Familie auseinanderreißen, den Ruf jedes einzelnen zerstören und ihn der öffentlichen Schande preisgeben würde. Was konnte er dieser Frau sagen, das es nicht noch schlimmer machte oder völlig banal klang? Er zwang sich, die Abneigung gegen ihren Mann hinunterzuschlucken.
»Ich weiß es nicht, Mrs. Pole«, erwiderte er warm. »Hoffen wir’s. Ich denke, sie muß ein schwerwiegendes Motiv für eine solche Tat gehabt haben – wenn sie es überhaupt war. Und dieses Motiv gilt es herauszufinden; vielleicht läßt sich darauf irgendeine Form von Verteidigung aufbauen.«
»Um Gottes willen, Mann!« explodierte Pole. Sein Gesicht war wutverzerrt. »Haben Sie denn gar keinen Sinn für Anstand? Meine Frau ist krank – sehen Sie das nicht? Es tut mir ja wirklich außerordentlich leid, aber Mrs. Carlyons Verteidigung – falls es eine gibt ist Sache ihres Anwalts, nicht unsere. Sie werden ohne die Hilfe meiner Frau auskommen müssen. Verlassen Sie jetzt bitte unser Haus, ohne für noch mehr Wirbel zu sorgen, als Sie ohnehin schon getan haben.« Er rührte sich nicht vom Fleck, doch die unterschwellige Drohung war auch so nicht zu verkennen. Fenton Pole war ein überaus zorniger Mann, der nach Monks Empfinden zudem von Angst gequält wurde – wenn diese Angst vielleicht auch ausschließlich dem Geisteszustand seiner Frau galt. Sabella stand in der Tat knapp vor dem völligen Zusammenbruch.
Da er nicht mehr bei der Polizei war, hatte er keinerlei Befugnis, auf die Erteilung von Auskünften zu bestehen. Ihm blieb keine andere Wahl, als zu gehen, und das am besten so würdevoll wie möglich. Daß man ihn dazu aufgefordert hatte, war schon bitter genug, aber ein Hinauswurf käme einer totalen Demütigung gleich, was er mit Sicherheit nicht würde hinnehmen können. Sein Blick wanderte von Pole zu Sabella, doch bevor er einen eleganten Abgang in die Wege leiten konnte, ergriff diese von neuem das Wort.
»Ich bin meiner Mutter sehr zugetan, Mr. Monk. Egal, was mein Mann davon hält – wenn es irgend etwas gibt, das ich tun kann…« Am ganzen Körper zitternd stand sie da und würdigte Pole keines Blickes. »… dann tue ich es! Suchen Sie mich auf, wann immer Sie wollen. Ich werde den Dienstboten entsprechende Anweisungen erteilen.«
»Sabella!« Pole war völlig aus dem Häuschen. »Das wirst du nicht! Ich verbiete es dir! Du bist ja nicht mehr von…«
Ehe er seinen Satz vollenden konnte, wirbelte sie jäh zu ihm herum. Ihr Gesicht war fleckig, der Mund verzerrt, die Augen glänzten fiebrig.
»Wie kannst du es wagen, mir zu verbieten, meiner Mutter zu helfen! Du bist genau wie Papa – ein arroganter Tyrann, der mir ohne Rücksicht auf meine Gefühle vorschreiben will, was ich zu tun oder zu lassen habe.« Ihre Stimme überschlug sich und wurde zunehmend schriller. »Du wirst mich nicht herumkommandieren du…«
»Sabella! Nicht so laut!« preßte er wutschnaubend hervor.
»Vergiß nicht, wer du bist – und mit wem du sprichst. Ich bin dein Mann! Du schuldest mir Gehorsam, von Loyalität ganz zu schweigen.«
»Schulden?« Jetzt schrie sie. »Ich schulde dir überhaupt nichts! Ich habe dich geheiratet, weil mein Vater mich dazu gezwungen hat!«
»Du bist ja hysterisch!« Poles Gesicht färbte sich vor Zorn und Verlegenheit scharlachrot. »Geh auf dein Zimmer! Das ist ein Befehl, Sabella, du wirst dich ihm nicht widersetzen!« Sein Arm wies zur Tür. »Daß dich der Tod deines Vaters aus dem Gleichgewicht gebracht hat, ist verständlich, aber ich lasse nicht zu, daß du dich derart aufführst, noch dazu vor einem – einem …« Ihm fehlten die Worte für Monk.
Als wäre ihr seine Anwesenheit soeben erst eingefallen, glitt Sabellas Blick zu Monk. Nach und nach dämmerte ihr die Ungeheuerlichkeit ihres Benehmens. Sie wurde kreidebleich, drehte sich wortlos um und verließ heftig atmend den Raum. Die Tür pendelte hinter ihr auf und zu.
Pole starrte Monk mit zornsprühenden Augen an, als wäre es seine Schuld, daß er dieser Szene beigewohnt hatte.
»Wie Sie sehen, Mr. Monk«, sagte er steif, »befindet sich meine Frau in einem Zustand hochgradiger Erschöpfung. Es liegt wohl auf der Hand,
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