Eine Spur von Verrat
schluckte krampfhaft. »Müssen wir das alles noch einmal durchexerzieren? Es hat doch keinen Zweck.«
»Sie müssen ihn sehr gehaßt haben.«
»Das habe ich nicht…« Sie geriet abermals ins Stocken, holte tief Luft und fuhr mit gesenktem Blick fort: »Ich habe es Mr. Rathbone bereits erklärt. Er hatte eine Affäre mit Louisa Furnival. Ich war… irrsinnig eifersüchtig.«
Monk glaubte ihr kein Wort.
»Ich habe auch mit Ihrer Tochter gesprochen.« Sie erstarrte und saß da wie versteinert.
»Sie macht sich große Sorgen um Sie.« Er wußte, daß er grausam war, aber er hatte keine andere Wahl. Er mußte die Wahrheit herausfinden. Mit Lügen konnte Rathbone dem Gericht nicht kommen. »Ich fürchte, meine Anwesenheit hat einen Streit zwischen ihr und ihrem Mann entfacht.«
Sie musterte ihn mit bitterbösem Blick. Zum erstenmal zeigte sie eine echte, tiefe Gefühlserregung.
»Sie hatten kein Recht, zu ihr zu gehen! Sabella ist krank – und sie hat gerade einen Elternteil verloren. Egal, was er für mich war, für sie war er immerhin der Vater. Sie…« Alexandra Carlyon verstummte. Vielleicht wurde ihr die Absurdität ihrer Lage plötzlich bewußt – vorausgesetzt, sie hatte den General tatsächlich ermordet.
»Sie schien über seinen Tod nicht sonderlich betrübt zu sein«, sagte Monk mit voller Absicht, während er nicht nur ihr Gesicht, sondern auch ihre verkrampfte Haltung, die angespannten Schultern unter der Baumwollbluse und ihre auf den Knien zu Fäusten geballten Hände beobachtete. »Sie machte keinen Hehl daraus, daß sie sich fürchterlich mit ihm gestritten hatte und alles tun würde, um Ihnen zu helfen – selbst auf die Gefahr hin, sich den Zorn ihres Mannes zuzuziehen.«
Alexandra schwieg, aber ihre Gefühle erfüllten den Raum wie elektrischer Strom.
»Sie sagte, er wäre tyrannisch und herrschsüchtig gewesen – und daß er sie gegen ihren Willen zur Heirat gezwungen hat«, fügte er hinzu.
Sie stand auf und drehte sich von ihm weg. Und in diesem Moment wurde er wieder von einer Erinnerung überfallen, so heftig, als hätte man ihm einen Schlag ins Gesicht versetzt. Er war schon einmal hiergewesen und hatte in einer ähnlichen Zelle mit einem ähnlichen kleinen Oberlicht eine schlanke Frau mit blondem, im Nacken gelocktem Haar beobachtet. Auch sie war des Mordes an ihrem Mann angeklagt gewesen, und ihr Schicksal hatte ihn zutiefst bewegt. Wer zum Teufel war sie?
Doch das Bild hatte sich wieder aufgelöst. Alles, was er festhalten konnte, war ein Lichtreflex auf hellem Haar, die Rundung einer Schulter, ein graues, viel zu langes Kleid, das über den Boden schleifte. Er konnte sich weder an eine Stimme erinnern noch an ein Gesicht, nicht an Augen, nicht an Lippen – an nichts.
Das Gefühl aber blieb. Die Sache war ihm so wichtig gewesen, daß er seine gesamte Kraft und Entschlossenheit für ihre Verteidigung mobilisiert hatte.
Warum? Wer war diese Frau? Hatte er es geschafft? Oder hatte man sie gehängt? War sie unschuldig gewesen – oder schuldig? Alexandra sprach mit ihm, gab ihm endlich eine Antwort. »Was haben Sie gesagt?«
Sie wirbelte mit stahlhartem, funkelndem Blick zu ihm herum. »Sie kommen hierher, stellen grausame, gefühllose Fragen ohne – ohne jegliche Anteilnahme, ohne jedes Einfühlungsvermögen…« Die Worte blieben ihr im Halse stecken, und sie rang mühsam nach Luft. »Sie sprechen von meiner Tochter, die ich wahrscheinlich nie wieder sehen werde – es sei denn über die Brüstung einer Anklagebank hinweg –, und dann besitzen Sie auch noch die Frechheit, mir nicht einmal zuzuhören! Was sind Sie nur für ein Mensch? Was wollen Sie wirklich hier?«
»Es tut mir leid!« sagte er ehrlich betroffen. »Ich war einen Moment lang abwesend, ich – ich mußte an etwas denken, an eine sehr schmerzliche Erfahrung – an eine ähnliche Situation.«
Ihre Wut ließ nach. Achselzuckend wandte sie sich wieder ab.
»Schon gut. Es spielt keine Rolle. Nichts spielt noch eine Rolle.«
Monk riß sich mühsam zusammen.
»Ihre Tochter hat sich an jenem Abend mit ihrem Vater gestritten…«
Sie war sofort wieder auf der Hut. Ihr Körper wurde steif, ihr Blick wachsam.
»Sie hat sich nicht unter Kontrolle, Mrs. Carlyon – sie war nahezu hysterisch, als ich dort war. Ich hatte den Eindruck, ihr Mann war ihretwegen sehr besorgt.«
»Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt.« Ihre Stimme war leise und hart. »Sie hat sich nie ganz von der Geburt ihres Kindes erholt. Das kommt
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