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Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Stellung zurück. Er riß den jungen Burschen unter vier Augen in Stücke, log aber wie ein Landsknecht, um ihn vor einer Anklage wegen absoluter Untauglichkeit zu bewahren. Was alles höchst uneigennützig klingt, bis man sich einmal vor Augen führt, wie sehr es seinem Ruf zuträglich war und wie seine Männer ihn dafür bewundert haben. Die Helden Verehrung seiner Meute schien ihm wichtiger gewesen zu sein als eine Beförderung, die er allerdings trotzdem bekam.«
    »Sehr menschlich«, sagte Hester nachdenklich. »Nicht unbedingt bewundernswert, aber auch nicht schwer zu verstehen.«
    »In keiner Weise bewundernswert«, erwiderte Callandra grimmig. »Nicht für einen Soldaten in Führungsposition. Einem General muß man in erster Linie vertrauen können; darauf läßt sich wesentlich besser bauen als auf Helden Verehrung. Das ist etwas, woran man sich halten kann, wenn es brenzlig wird.«
    »Da haben Sie wahrscheinlich recht, ja.« Hester besann sich auf ihren gesunden Menschenverstand. Es war immer das gleiche mit den großen Führern der Menschheit. Florence Nightingale war auch keine sonderlich liebenswürdige Frau, denn sie war viel zu autokratisch, viel zu unsensibel, um die Eitelkeiten und kleinen Unzulänglichkeiten anderer wahrzunehmen, war intolerant den Schwächen ihrer Mitmenschen gegenüber und gleichzeitig selbst außerordentlich exzentrisch. Aber sie war eine Art Galionsfigur, der sogar diejenigen bedingungslos folgten, die sie haßten. Und die Männer, denen sie ihre Hilfe zuteil werden ließ, betrachteten sie als eine Heilige – aber vielleicht waren die meisten Heiligen ebenfalls eher schwierige Menschen.
    »Ich hatte die Hoffnung, daß er vielleicht ein unverbesserlicher Spieler gewesen ist«, fuhr Callandra fort.
    »Daß er zu stark auf die Disziplin pochte, irgendwelchen barbarischen Sekten oder Glaubensrichtungen anhing, daß er persönliche Feinde hatte oder Freundschaften pflegte, die Zweifel an seiner Integrität hätten aufkommen lassen können – wenn Sie wissen, was ich meine?« Sie schaute Hester skeptisch an.
    »Ja, ich weiß, was Sie meinen«, bestätigte Hester mit einem schiefen Lächeln. Daran hatte sie überhaupt noch nicht gedacht, aber die Idee war gut. Was, wenn der Liebespartner des Generals keine Frau, sondern ein Mann gewesen war? Doch auch diese Überlegung schien nirgendwo hinzuführen. »Zu schade – das hätte ein phantastisches Motiv abgegeben.«
    »Allerdings.« Callandras Gesicht wurde hart. »Aber ich konnte keinerlei Anhaltspunkte dafür finden. Und derjenige, mit dem ich gesprochen habe, hätte gewiß kein Blatt vor den Mund genommen, wenn ihm etwas Derartiges zugeflogen wäre. Ich fürchte, meine Liebe, General Carlyons Verhalten ließ nicht das geringste zu wünschen übrig. Anscheinend hat er niemandem Anlaß gegeben, ihn zu hassen oder zu fürchten.«
    Hester seufzte. »Und sein Vater?«
    »Ein ähnlicher Fall – sehr ähnlich sogar, nur weniger erfolgreich. Er hat im Peninsularkrieg unter dem Duke von Wellington gedient und Waterloo miterlebt – was ihn eigentlich hätte interessant machen müssen, es anscheinend aber nicht tat. Der einzige Unterschied zwischen Vater und Sohn besteht offenbar darin, daß der Colonel zuerst den Sohn hatte und dann die beiden Töchter, während es beim General genau umgekehrt war. Außerdem hat der General es weiter gebracht, zweifellos aufgrund seines einflußreichen Vaters. Es tut mir leid, daß meine Nachforschungen nicht mehr ergeben haben. Wirklich außerordentlich frustrierend das Ganze.«
    Nach dieser Schlußbemerkung schweifte die Unterhaltung zu allgemeineren Themen ab. Sie verbrachten einen ausgesprochen netten Nachmittag, bis Hester sich schließlich verabschieden mußte, um zu Major Tiplady und ihren Pflichten zurückzukehren.
    Während Hester bei der Familie Carlyon speiste, stattete Monk Dr. Charles Hargrave seinen ersten Besuch ab. Der Mann erfüllte gleich zwei Funktionen: zum einen war er als einer der wenigen Nichtverwandten der Carlyons bei der Dinnerparty zugegen gewesen, zum anderen hatte er im Rahmen seiner ärztlichen Pflicht die Leiche des Generals als erster untersucht.
    Er hatte einen Termin mit Hargrave vereinbart, damit der Arzt nicht wegen eines Hausbesuchs abwesend war, wenn er überraschend bei ihm auftauchte. Trotz der vorgerückten Stunde, es war halb neun abends, näherte er sich seinem Haus also mit recht großer Zuversicht. Das Mädchen ließ ihn ein und führte ihn sogleich in ein

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