Eine Spur von Verrat
fürchte, das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich war viel zu sehr mit Alexandra beschäftigt, außerdem mußte ich die Polizei verständigen. Da müssen Sie Maxim oder Louisa fragen.«
»Sie waren mit Mrs. Carlyon beschäftigt? Hat die Nachricht sie schwer getroffen?«
In Hargraves Augen blitzte finstere Belustigung auf. »Sie meinen, ob sie überrascht war? Schwer zu sagen. Sie war wie versteinert, als hätte sie Schwierigkeiten, das Ganze überhaupt zu begreifen. Vielleicht weil sie es zu dem Zeitpunkt bereits wußte –– aber es kann natürlich auch der Schock gewesen sein. Und selbst wenn sie wußte oder ahnte, daß Mord im Spiel war, kann ihre Reaktion lediglich der Angst entsprungen sein, daß Sabella die Täterin war. Das habe ich seit damals oft gedacht und weiß es bis heute nicht besser.«
»Und Mrs. Furnival?«
Hargrave lehnte sich zurück und schlug von neuem die Beine übereinander.
»Da habe ich schon wesentlich festeren Boden unter den Füßen. Ich bin mir so gut wie sicher, daß sie aus allen Wolken fiel. Aufgrund Alexandras offensichtlichem Zwist mit ihrem Mann, Sabellas ununterbrochenem Gezänk und Damaris Erskines unerklärlicher Hysterie sowie ihrem unverschämten Benehmen Maxim gegenüber war der ganze Abend ziemlich anstrengend und unangenehm gewesen.«
Er schüttelte den Kopf. »Peverell Erskine machte sich natürlich Sorgen um seine Frau, außerdem war ihm ihr Verhalten peinlich. Fenton Pole war wütend auf Sabella, weil sich diese Szenen in letzter Zeit gehäuft hatten. Der arme Kerl hatte wirklich allen Grund, diesen Zustand unhaltbar zu finden.
Louisa, das muß ich zugeben, hat die Aufmerksamkeit des Generals auf eine Art und Weise gefesselt, mit der viele Ehefrauen ihre Schwierigkeiten gehabt hätten – aber Frauen haben ihre eigenen Mittel und Wege, wie sie mit derlei Dingen fertig werden. Und Alexandra war weder unattraktiv noch dumm. Es ist noch gar nicht so lange her, da hat Maxim ihr mehr als nur ein bißchen Aufmerksamkeit geschenkt – mindestens ebensoviel wie der General an diesem Abend Louisa –, und ich habe so den Verdacht, daß es einem weit weniger oberflächlichen Gefühl entsprang. Aber das ist bloß eine Vermutung, kein Fakt.«
Monk quittierte das ihm entgegengebrachte Vertrauen mit einem leichten Lächeln.
»Wie beurteilen Sie Sabella Poles Geisteszustand, Dr. Hargrave? Ist es Ihrer Meinung nach möglich, daß sie ihren Vater ermordet hat und Alexandras Geständnis nur ihrem Schutz dienen könnte?«
Hargrave lehnte sich langsam zurück und spitzte die Lippen, ohne den Blick von Monks Gesicht zu wenden.
»Ja, es ist möglich, aber Sie werden mehr brauchen als die bloße Eventualität, um die Polizei davon zu überzeugen. Und ich kann weder behaupten, daß sie etwas getan hat, noch daß sie Schlimmeres ist als vorübergehend seelisch aus dem Gleichgewicht – was bei Frauen, die kürzlich entbunden haben, wie gesagt, ziemlich oft vorkommt. Diese Melancholie drückt sich manchmal in Form von Gewalt aus, aber diese Gewalt richtet sich für gewöhnlich gegen das Kind, nicht gegen den eigenen Vater.«
»Gehörte Mrs. Carlyon auch zu Ihren Patienten?«
»Ja, obwohl uns das nicht weiterbringen dürfte.« Wieder ein Kopfschütteln. »Hinsichtlich ihrer Zurechnungsfähigkeit oder der Wahrscheinlichkeit, daß sie dieses Verbrechen begangen hat, kann ich keine Aussage machen. Ich bedaure es wirklich sehr, Mr. Monk, aber ich glaube, Sie kämpfen auf verlorenem Posten.«
»Fällt Ihnen vielleicht ein anderer Grund ein, weshalb sie ihren Mann ermordet haben könnte?«
»Nein«, sagte Hargrave ernst. »Und glauben Sie mir, ich habe darüber nachgedacht. Meines Wissens hat er sie nie geschlagen oder anderweitig schlecht behandelt. Ich finde es begrüßenswert, daß Sie nach mildernden Umständen Ausschau halten, aber – so leid es mir tut – ich wüßte keine. Der General war ein normaler, gesunder Mann, geistig voll auf der Höhe. Etwas dünkelhaft vielleicht und, wenn es nicht um militärische Angelegenheiten ging, ein absoluter Langweiler, doch das ist schließlich keine Todsünde.«
Monk wußte zwar nicht, was genau er sich eigentlich erhofft hatte, aber seine Enttäuschung war enorm. Die Anzahl der Möglichkeiten schrumpfte, die Aussicht, etwas Bedeutungsvolles aufzudecken, schwand, und eine Lösung war nicht in Sicht.
»Ich danke Ihnen, Dr. Hargrave.« Er stand auf. »Sie sind sehr geduldig mit mir gewesen.«
»Gern geschehen.« Hargrave erhob sich ebenfalls und
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