Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
Witwe sein würde?
    Hatte es überhaupt einen Sinn, den Anwälten, die das Testament aufgesetzt hatten und für die Verwaltung des Vermögens zuständig waren, diese Frage zu stellen? Im Interesse der Gerechtigkeit würde man ihm vielleicht Auskunft erteilen. Es jetzt noch geheimzuhalten diente niemandem mehr.
    Eine Stunde später fand er sich in der Kanzlei Goodbody, Pemberton und Lightfoot ein. Mr. Lightfoot, der einzige noch lebende der drei ursprünglichen Partner, zeigte sich recht mitteilsam. Er meinte, er hätte der Kunde vom Tod des Generals – welch traurige Geschichte, nur der Himmel allein wisse, aufweichen Abwegen sich die Welt befand, wenn ehrbare Frauen wie Mrs. Carlyon in solche Tiefen sanken – zu Anfang kaum Glauben schenken können. Als er Mrs. Carlyon aufgesucht habe, um sie mit dem Testament vertraut zu machen und sie seiner treu ergebenen Dienste zu versichern, sei sie weder überrascht noch enttäuscht gewesen. Im Grunde schien sie sich kaum dafür zu interessieren! Er habe es selbstverständlich als natürliche Schockreaktion auf den Tod ihres Mannes interpretiert. Also nein, wirklich! Er schüttelte den Kopf und wunderte sich erneut, wie weit es bloß mit der zivilisierten Welt gekommen war, wenn derartige Dinge passieren konnten.
    Monk verkniff sich die Bemerkung, daß man ihr den Prozeß noch nicht gemacht, geschweige denn sie verurteilt hatte. Es war vergebene Liebesmüh. Alexandra hatte gestanden, und soweit es Mr. Lightfoot betraf, war das Thema hiermit erledigt. Zudem sah es ganz so aus, als hätte er recht. Selbst Monk fiel kein vernünftiges Gegenargument ein.
    Er eilte die Threadneedle Street hinunter, an der Bank von England vorbei, bog links in die Bartholomew Lane ein und wußte auf einmal nicht mehr, wo er eigentlich hin wollte. Verwirrt blieb er stehen. Da war er absolut selbstsicher um die Ecke gebogen und hatte plötzlich nicht die geringste Ahnung, wo er sich befand. Er schaute sich um. Die Gegend kam ihm bekannt vor. Gegenüber war ein Bürogebäude; der Name sagte ihm zwar nichts, aber die Eingangstür aus Naturstein mit dem Messingschild darüber erzeugte ein Gefühl der Beklommenheit und des abgrundtiefen Scheiterns tief in seinem Innern.
    Warum? Wann war er schon einmal hiergewesen, in wessen Auftrag? Hing es mit dieser anderen Frau zusammen, an die er sich im Gefängnis bei Alexandra Carlyon so kurz und schmerzlich erinnert hatte? Er durchforstete sein Gedächtnis verzweifelt nach einem Bindeglied, das ihn auf ihre Spur bringen könnte: Gefängnis, Gerichtssaal, Polizeirevier, ein Haus, eine Straße… Nichts. Ihm fiel absolut nichts ein.
    Ein älterer Gentleman ging forschen Schrittes an ihm vorbei, einen Spazierstock mit silbernem Knauf in der Hand. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Monk ihn zu erkennen, dann verflüchtigte sich der Eindruck wieder. Etwas stimmte nicht mit der Form seiner Schultern, mit der Körperbreite. Nur der Gang und der Spazierstock waren ihm irgendwie vertraut.
    Aber natürlich! Es hatte gar nichts mit der Frau zu tun, die an seiner Erinnerung zerrte. Es war dieser Mentor seiner Jugendzeit, der Mann, dessen Frau in stummer Verzweiflung weinte, gequält von einem Leid, das Monk geteilt und in hilfloser Unfähigkeit nicht hatte verhindern können.
    Was war passiert? Warum war – war… Walbrook!
    Vor Triumph jubilierend sagte er sich den Namen immer wieder vor. Ja, kein Zweifel. Walbrook – so hatte er geheißen. Frederick Walbrook… Bankier. Handelsbankier. Aber weshalb hatte er dieses schreckliche Gefühl, auf ganzer Linie versagt zu haben? Welche Rolle hatte er in dieser Katastrophe gespielt?
    Er hatte nicht die leiseste Ahnung.
    Für den Augenblick ließ er es gut sein, verfolgte seine Schritte bis zur Threadneedle Street zurück und ging dann die Cheapside in Richtung Newgate hinauf.
    Er mußte sich auf Alexandra Carlyon konzentrieren. Seine Erkenntnisse waren vielleicht ihre einzige Chance. Sie hatte ihn angefleht, ihr zu helfen, sie vor dem Galgen zu retten, ihren Namen reinzuwaschen. Er beschleunigte seinen Schritt, während vor seinem geistigen Auge ihr vergrämtes Gesicht, ihre panische Angst und ihre gehetzten Augen auftauchten…
    Nie war ihm etwas wichtiger gewesen. Das Gefühl, das plötzlich in ihm aufwallte, war derart verschlingend, daß er nicht mehr darauf achtete, wo er hintrat, die Menschen um sich herum nicht mehr wahrnahm. Bankiers und Sekretäre, Botengänger, Hausierer und Zeitungsjungen – sie alle rempelten

Weitere Kostenlose Bücher