Eine Spur von Verrat
römischkatholischen Kirche verschwinden sehen! Wie sonderbar. Gehörte sie dieser Konfession etwa an? Wo dachte er hin!
War sie verschwenderisch?
Gelegentlich, wenn es um Kleidung ging. Sie liebte Form und Farbe.
Und sonst? Frönte sie dem Glücksspiel, hatte sie ein Faible für neue Kutschen, prächtige Pferde, Möbel, Silber, erlesenen Schmuck?
Nicht, daß es jemandem aufgefallen wäre. Und Spielen tat sie mit Sicherheit nicht.
Flirtete sie gern?
Nicht mehr als jeder andere auch. Hatte sie Schulden?
O nein.
Verbrachte sie übertrieben viel Zeit allein? Wußte man häufig nicht, wo sie war?
Doch, das mußte man sagen. Sie liebte die Einsamkeit, vor allem seit letztem Jahr. Wo ging sie hin?
In den Park. Allein?
Anscheinend. Zumindest wurde sie nie in Begleitung gesehen. Die Frauen, die er fragte, wirkten traurig, verwirrt und besorgt, aber aufrichtig. All ihre Antworten klangen offen und ehrlich – und halfen ihm nicht weiter.
Während er von einem schmucken Haus zum andern ging, waberte unablässig das Echo einer Erinnerung durch seinen Kopf, körperlos und gespenstisch wie dichte Nebelschwaden. Sobald er sie zu erhaschen glaubte, verlor sie sich im Nichts. Was blieb, war der intensive Widerhall von Liebe, Furcht, Beklommenheit und grauenvoller Angst vor dem Versagen.
Hatte Alexandra Trost und Hilfe bei einem katholischen Priester gesucht? Möglich. Aber es war sinnlos, diesen Mann ausfindig zu machen; sein Beichtgeheimnis hinderte ihn am Reden. Jedenfalls mußte es etwas Gravierendes gewesen sein, das sie veranlaßt hatte, sich einem Geistlichen einer anderen Konfession anzuvertrauen, einem Fremden.
Es gab noch zwei weitere Möglichkeiten, die es zu untersuchen galt. Erstens, ob Alexandra nicht auf Louisa Furnival, sondern auf eine andere Frau eifersüchtig gewesen war – und wenn ja, ob in dem Fall zu Recht. Nach allem, was er bisher über den General gehört hatte, entsprach er beileibe nicht Monks Vorstellung von einem Mann, der gern auf Freiersfüßen wandelte. Und daß er sich heftig genug verlieben konnte, um seine Karriere und seinen Ruf zu opfern, indem er seine Frau und seinen einzigen Sohn verließ, der noch ein Kind war, erschien ihm noch abwegiger. Aber eine bloße Affäre reichte für die meisten Frauen nicht aus, gleich zu Mord zu greifen. Falls Alexandra ihren Mann tatsächlich auf so besitzergreifende Weise geliebt hatte, daß sie ihn lieber tot als in den Armen einer anderen Frau sah, war sie eine verdammt gute Schauspielerin. Sie machte jedoch einen recht vernünftigen Eindruck und schien der Tatsache, daß ihr Mann tot war, eher gleichgültig gegenüberzustehen. Sie war wie gelähmt, aber nicht gramgebeugt; sie fürchtete um ihr Leben, aber noch mehr fürchtete sie um ihr Geheimnis. Eine Frau, die soeben einen Mann ermordet hatte, von dem sie sosehr besessen gewesen war, mußte doch irgendwelche Anzeichen einer derart verzehrenden Liebe zeigen – und vor Kummer am Boden zerstört sein.
Und weshalb es kaschieren? Warum Louisa vorschieben, wenn sie gar nichts damit zu tun hatte? Das Ganze ergab einfach keinen Sinn.
Nichtsdestotrotz würde er dem nachgehen. Jede Möglichkeit mußte erforscht werden, mochte sie noch so abwegig oder unsinnig erscheinen.
Die zweite und wahrscheinlichere Möglichkeit war, daß Alexandra selbst einen Liebhaber hatte; und jetzt, da sie verwitwet war, beabsichtigte sie, den Betreffenden zu gegebener Zeit zu heiraten. Das klang wesentlich einleuchtender. Unter diesen Umständen wäre verständlich, daß sie die Wahrheit zurückhielt. Wenn Thaddeus sie mit einer anderen Frau betrogen hatte, war sie immerhin die leidtragende Dritte. Vielleicht hatte sie sich der abenteuerlichen Hoffnung hingegeben, die Gesellschaft würde ihr Verhalten entschuldigen. Hatte sie ihn jedoch ihrerseits betrogen und ihn ermordet, um für den anderen Mann frei zu sein, würde ihr das kein Mensch auf der ganzen Welt verzeihen.
Je länger Monk darüber nachdachte, desto plausibler kam es ihm vor. Es war die einzige Erklärung, bei der alles zusammenpaßte. Sie war zwar ausgesprochen häßlich, schrie aber geradezu nach Überprüfung.
Er beschloß, in Alexandra Carlyons Haus anzufangen, das sie mit dem General seit dessen Rückzug aus dem aktiven Dienst vor zehn Jahren geteilt hatte. Da er indirekt von Mrs. Carlyon beauftragt und sie bislang noch keines Verbrechens überführt war, durfte er vermutlich mit einem höflichen, wenn nicht gar freundlichen Empfang rechnen.
Das Haus
Weitere Kostenlose Bücher