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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neville Shute
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des
Nachmittags ins Kraut schossen, und jeden Abend war sie sich darüber im klaren:
‹Willstown auf stecken, Queensland im Stich lassen — das hieße Kostbarkeiten
zum Fenster hinauswerfen, wie ich sie im Leben nie wieder finde.› Beim
Zubettgehen nahm sie sich vor, Geduld zu haben und nochmals Geduld — und am
Morgen fing die gleiche Leier von vorne an.
    Wie das Schiff hieß, mit dem Harman
ankommen solle, wußte sie; ich hatte es ihr geschrieben, so daß sie den Tag der
Landung in Brisbane leicht feststellen konnte. Weitere unauffällige
Erkundigungen führten sie zu der Annahme, seine Reise von Brisbane nach
Willstown müsse Cairns nicht nur berühren, sondern er werde dort einige Tage
Aufenthalt haben. Sein Schiff sollte fahrplanmäßig Montag nacht in Brisbane
ankommen, und Dienstag bei Tagesanbruch stieg schon der wöchentliche Flieger
zum Golf von Carpentaria auf. Den Anschluß würde er schwerlich erreichen. Schon
in Willstown hatte sie festgestellt, daß er in Cairns im «Strandhotel» zu
logieren pflegte und es aus diesem Grunde auch für sich gewählt. Von hier
schrieb sie ihm nun an die Adresse der Schiffahrtsgesellschaft in Brisbane
einen Brief, dessen Stilisierung sie wiederum einiges Kopfzerbrechen kostete.
Folgendes kam schließlich zustande:
     
    Lieber Joe,
    durch Mr. Strachan hörte ich von dem
überraschenden Besuch in London. Jammerschade, daß wir uns verfehlt haben! Und
komisch, daß ich just zu der Zeit in Australien war. Ich bleibe bis zur Ankunft
des Schiffes, bin momentan in Cairns und hoffe, wir werden uns dort sprechen —
aber nicht zuviel von Malaya! Wir wissen beide, was dort geschah, und wollen es
möglichst vergessen. Ich bitte um freundliche Nachricht wegen Ankunft und
Aufenthalt hier in Cairns und sehe unserem Wiedersehen mit Freude entgegen.
    Herzliche
Grüße
    Joan Paget
     
    Am Dienstagnachmittag erhielt sie sein
Telegramm mit der Nachricht, er habe in Brisbane noch eine Besprechung mit Mrs.
Spears, der Eigentümerin von Midhurst, und fliege am Donnerstag nach Cairns.
Als sie zum Flugplatz fuhr, um ihn dort abzuholen, kam sie sich vor wie ein
siebzehnjähriges Mädchen, das zum ersten Rendezvous geht. Ich kann mir gut
vorstellen, in welcher Verlegenheit sich Joe Harman befand, als seine «Dakota»
Cairns anflog. Das Bild dieses Mädchens trug er nun seit sechs Jahren im Herzen
und wußte dabei im Grunde nicht einmal, wie sie aussah. Sein Erinnerungsbild
hatte langes schwarzes Haar, welches in einen Zopf geflochten war, der hinten
lang herunterhing und wie bei einer Chinesin am unteren Ende mit Bindfaden
zusammengehalten war. Es war ein sonnenverbranntes Wesen, fast so braun wie
eine Malaiin, in einem dürftigen, baumwollenen Sarong mit zerschlissenem,
verschlossenem, blusenartigem Oberteil. Die Beine waren nackt, die Füße
schmutzig, und an ihrer Hüfte hing für gewöhnlich ein Baby. ‹In Cairns›,
vermutete er, ‹sieht sie wohl nicht mehr so aus. Wenn ich sie bloß
wiedererkenne!› Das Schlimmste war, daß ihr inneres Leuchten und alles, was aus
ihr ein «bonza Girl» machte, wie er sich ausdrückte, äußerlich nicht in
Erscheinung trat.
    Als Joan sich in ihrem Hotelzimmer für
die Wiederbegegnung schön anzog, malte sie sich seine Verlegenheit lebhaft aus
und bereitete sich darauf vor, daß er sie nicht erkennen werde. Für sie
bestanden keine derartigen Schwierigkeiten. Er dürfte sich kaum in dem Maße
verändert haben, und wenn irgendwelche Zweifel entstehen sollten, bildeten die
Wundmale seiner Hände das sicherste Erkennungszeichen.
    Die»Dakota» rollte an. Joan stand in
glühender Sonne am weißen Geländer der Landebahn, und als der breitschultrige,
blauäugige, blonde Mann das Flugzeug verließ, erkannte sie ihn auf den ersten
Blick. Ängstlich spähend sah er sich um. Einen Augenblick verweilte sein
prüfender Blick auf Joan und schweifte dann weiter. ‹Sehe ich denn so alt aus?›
fragte sie sich.
    Er wandte sich dem Aufnahmegebäude zu.
Sie sah seinen sonderbar steifen Gang, und es versetzte ihr einen Stich.
‹Kuantan! Das hat Kuantan ihm angetan. Kuantan hat seine Spur hinterlassen...›
Wohl war sie darauf gefaßt gewesen, aber beim ersten Anblick tat es doch weh.
Rasch ging sie über die Rollbahn und trat auf ihn zu.
    «Joe!»
    Er blieb stehen und blickte sie
ungläubig an. Ja, er hatte nach einer Verwandelten Umschau gehalten, aber war
es denn möglich...? Diese bildhübsche, junge Dame im Sommerkleid — sie war
dieselbe Gestalt, die er zuletzt

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