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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neville Shute
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in der City geschäftlich zu tun hatte. Er
kam in meine Kanzlei.
    Er war ein kleiner, beleibter, munterer
Herr und sah aus wie ein Werkmeister. Unterm Arm trug er ein braunes Postpaket.
«Bevor wir anfangen», sagte er, «will ich Ihnen zeigen, was heute früh
eingetroffen ist.»
    Damit wickelte er das Paket auf meinem
Schreibtisch aus. Es enthielt ein Paar Krokodillederschuhe.
    «Was ist damit?» fragte ich.
    «Es sind Schuhe, die sie in Australien
— in Willstown — selber gemacht hat. Hat sie Ihnen nichts davon geschrieben?»
    «Nein!» Davon hat in dem Brief nichts
gestanden. Ich musterte das Paar mit lebhaftem Interesse. «Das hat sie wirklich
mit eigenen Händen fertiggebracht?» fragte ich.
    «Laut beiliegendem Schreiben: mit
eigenen Händen in ihrem Hotelzimmer», lachte er.
    «Und wie finden Sie die Arbeit?» fragte
ich und drehte den Schuh nach allen Seiten.
    «Es kommt darauf an, unter welchem
Gesichtspunkt man sie betrachtet», bemerkte er. «Für den Verkauf — nein! Das
ist unmöglich. Schauen Sie nur mal da — und da! Und hier!» Er machte mich auf
verschiedene Unregelmäßigkeiten und technische Greuel aufmerksam. «Der rechte
ist nicht einmal das genaue Spiegelbild des linken. Aber — und das scheint mir
entscheidend — sie weiß es selber. Wenn man bedenkt, daß dieses Schuhwerk von
einer Stenotypistin, die im Leben noch nie einen Schuh gemacht hat, auf keiner
richtigen Werkbank, sondern daheim auf dem Bett angefertigt worden ist, dann
ist es ein kleines Wunderwerk.»
    Ich legte den Schuh hin und offerierte
ihm Zigaretten. «Sie hat Ihnen geschrieben, was sie vorhat?»
    Er berichtete, was sie ihm, und ich,
was sie mir geschrieben hatte; wir unterhielten uns eine Viertelstunde darüber,
und dann fragte ich: «Also was halten Sie als Fachmann von der Idee?»
    «Ich glaube nicht, daß sie so etwas
zustande bringt», erklärte er rundheraus. «Jedenfalls nicht so, wie sie es sich
vorstellt. Sie versteht von der Schuhmacherei nicht genug, um damit zu
florieren.»
    Ich muß gestehen, ich war enttäuscht.
Aber es war wenigstens gut, daß ich mich nun einer Tatsache gegenüber sah.
    «Ihr fehlt die Erfahrung», fuhr Mr.
Peck fort. «Sie ist ein braves Mädchen, Mr. Strachan, und hat auch Sinn fürs
Geschäft, aber sie hat weder gelernt, verkäufliche Schuhe zu machen noch
Arbeiterinnen so anzulernen, daß sie ein tadelloses Schuhwerk zuwege bringen.
Wie will sie das machen? Sie muß es ja selber lernen. Und diese jungen Mädchen
in Australien, von denen sie schreibt, das sind doch richtige Bauernmädchen,
die keine Ahnung haben, wie es in einer Fabrik zugeht und was regelmäßige
Fabrikarbeit heißt. Sie mögen noch so willig sein, aber — Sie verstehen!»
    «Ich verstehe.»
    «Ich will ihr gern behilflich sein»,
sagte der kleine Mann weiter, «aber dann muß sie sich richtig einstellen. Wenn
sie das kann, à la bonne heure! Sie hat immerhin einen guten Griff getan. Als
ich in ihrem Brief gelesen habe, daß sie für eine ungegerbte, rohe
Alligatorhaut nur siebzig Shilling zu zahlen hat — ich kann Ihnen sagen, Mr.
Strachan, ich bin fast umgefallen. Dazu noch australische Shilling! Das sind in
unserer Währung sechsundfünfzig! Und hier haben wir in all den Jahren für die
zugerichtete Haut hundertachtzig gezahlt und uns eingebildet, daß es Gott weiß
wie billig wäre! ‹Wir sind rechte Esel›, habe ich zu Mr. Levy gesagt.»
    «Was meinen Sie nun, wie man ihr helfen
könnte?» frage ich.
    «Wenn sie dazu in der Lage wäre, einer
Vorarbeiterin die Hin- und Rückreise zu vergüten, könnten wir ihr eine von uns
— sagen wir: fürs erste Jahr — zur Verfügung stellen. Wir haben da eine, die
etwas unstet ist; sie hat gut und gern ihre fünfunddreißig auf dem Buckel, ist
verheiratet, lebt aber schon lange von ihrem Mann getrennt. Aggie Topp heißt
sie. Sie hat es bis zum Sergeanten gebracht, versteht also auch, Disziplin zu
halten. Der tanzt keine so leicht auf der Nase herum.»
    «Kennt Miss Paget sie?»
    «Selbstredend! Joan kennt Aggie und
Aggie Joan. Ich kann Ihnen auch verraten, daß sie gestern bei mir war und uns
gekündigt hat; ich habe die Kündigung nicht angenommen und ihr ein paar
Komplimente gemacht, wie tüchtig sie ist, habe sie auch ein bißchen geneckt —
sie kündigt nämlich alle zwei, drei Monate — und habe sie nebenbei gefragt, ob
sie nicht auf ein Jahr zu Joan nach Australien will.»
    «Und was hat sie gesagt?»
    «Wenn Joan sie will, kommt sie gern.
Sie mag sie gut leiden

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