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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neville Shute
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müßte sie heimfahren. Dann gab es keine
Ausreden mehr, weshalb sie noch hierbleiben sollte.
    Sie konnte gewiß verstehen, daß ihre
englische Art ihm etwas Fremdes war. Woher sollte er wissen, daß sie bereit
war, sich ins Leben im Outback zu schicken? Stand vielleicht ihr sogenannter
Reichtum zwischen ihm und ihr? Sie konnte sich nicht vorstellen, daß ein so
natürlicher, aufrichtiger Mensch daran Anstoß nimmt, ein Mädchen mit Geld zur
Frau zu nehmen. Aber vielleicht machte es ihn scheu? Wenn sie zufällig keine
reiche Engländerin wäre, sondern ein Mädchen aus Cairns, das ihm gefällt — und
sie gefiel ihm doch! — , dann wäre alles viel einfacher.
    Es dauerte lange, bis Joan einschlief.
     
    Am Samstagmorgen war es um kein Haar
besser. Sie badeten am Rand des Meeres, solange es kühl war, und gingen bei
Ebbe über das Riff. Bis zur Teezeit hatte sich ihr Gesprächsstoff erschöpft,
und lange, peinliche Pausen entstanden, in denen keines recht wußte, was es
noch sagen solle. Am Abend beschlossen sie, den Strand entlang rund um die
Insel zu wandern.
    Vor ihrer Hütte ließ Joan den
unbegreiflichen Joe stehen: «Ein paar Minuten, Joe! Ich mag in diesem Kleid
nicht durch den Sand laufen.»
    Als sie aus ihrer Hütte trat, wandte
Joe sich nach ihr um, und mit einem Schlag fühlte er sich sechs Jahre zurück
nach Malaya versetzt. Sie trug den gleichen verblichenen Sarong wie einst. Er
reichte ihr knapp über die Brust und ließ die braunen Arme, die Schultern,
Beine und Füße bloß. Vor ihm stand nicht mehr das fremde englische Mädchen,
sondern die Mrs. Boong, wie er sie während all den Jahren vor sich gesehen
hatte. Schüchtern kam sie näher, legte die Hände auf seine Schultern und
fragte: «Ist es so besser, Joe?»
    Daran, was in den folgenden fünf
Minuten geschah, konnte sie sich später nie ganz genau erinnern. Joe küßte ihr
Gesicht, den Hals, die Schultern, und seine Hände liebkosten sie.
    Und als sie in seinen Armen ruhte,
dachte sie: ‹Das ist es› und dann: ‹Ich muß den Sarong richten, er fällt sonst
auseinander.› Schon war sie zurückgewichen.
    Joe folgte ihr, und während sie mit der
Linken den Sarong schützend vor ihre Brust hielt, lachten ihn ihre Augen an.
    «Liebst du mich?» fragte er.
    Da zog sie seinen Kopf an sich und
küßte ihn.
    «Du lieber Joe! Natürlich liebe ich
dich. Warum, meinst du, wäre ich sonst nach Australien gekommen?»
    «Wirst du mich heiraten?»
    «Natürlich heirate ich dich.» Zärtlich
blickte sie ihn an. «Wenn uns jetzt einer so sähe, würde er denken, wir sind
schon verheiratet.»
    Sie wanderten den Strand entlang.
    Einmal sagte er: «Ich habe nie gewußt,
daß man so glücklich sein kann.»
    Eine halbe Stunde verging, und sie
sagte: «Joe, wir sind beide müde. Es ist Zeit, schlafen zu gehen. Wir haben
viel miteinander zu reden — aber lieber erst morgen!»
    Als sie zu ihrer Hütte zurückkehrte,
war sie so müde, daß sie nicht einmal die Kerze anzündete, sondern sich aufs
Bett fallen ließ, den Sarong nach malaiischer Sitte lockerte, die Augen schloß
und fast im gleichen Augenblick einschlief.
    Sie erwachte beim ersten Morgenschimmer
und fühlte sich grenzenlos glücklich. ‹Endlich! Nun wird alles zwischen uns so,
wie es sein soll, und gut!› Sie stand mit der Sonne auf, lugte vorsichtig nach
Joes Hütte hinüber und zum Restaurant, und da sich noch nirgends etwas regte,
zog sie ihren Badeanzug an und lief hinunter zum Strand.
    Sie lag in dem seichten Wasser und
pries sich glücklich, einer Vereinsamung entronnen zu sein, die ihr schlimmer
gewesen wäre als der Tod.
    Langsam kehrte sie zu ihrer Hütte
zurück, kleidete sich europäisch und begab sich zum Restaurant. Es stand offen,
doch war niemand zu sehen. Sie setzte den Kessel auf den Petroleumherd, und als
der Tee gezogen hatte, trug sie eine Tasse nach Joes Hütte.
    Der Vorhang war noch geschlossen. Sie
spähte hinein. Er lag in Shorts auf dem Bett und schlief. Sein Schlummer war
friedlich und sanft wie der eines Kindes. Er lag auf der Seite. Die Narben auf
seinem Rücken wirkten erschreckend. Voll Liebe betrachtete sie den Mann, und
der Gedanke an alle die künftigen Morgenstunden, in denen sie ihn so sehen und
für ihn sorgen würde, tat ihr wunderbar wohl.
    Sie trat ein, stellte den Tee auf den
Tisch an der Wand, und als sie sich nach ihm umsah, hatte er die Augen geöffnet
und schaute sie groß an.
    «Guten Morgen, Joe!» grüßte sie und
wußte nicht, ob es die gute Sitte von ihr

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