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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neville Shute
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überhand.»
    Der Rest des Nachmittags verging mit
Einkäufen und Bestellungen, auch mußten sie für den nächsten Morgen die
Luftpassage nach Willstown besorgen; reichlich müde kehrten sie abends ins
Hotel zurück.
    «Aber ich gehe noch nicht zu Bett»,
erklärte Joan nach dem Abendtee; «ich kann unmöglich Cairns verlassen, ohne
Noel Strachan geschrieben zu haben, was auf der Grünen Insel geschah!»
    Sie setzte sich auf die Terrasse vor
ihrem Zimmer und schrieb mir einen langen Brief. Joe Harman saß neben ihr. Sie
schrieb, und er rauchte.
    Sie war eine fleißige Briefschreiberin
und ist es geblieben. Sie schreibt mir heute noch ungefähr jede Woche. Jenen
Brief aber erhielt ich Anfang November; ich weiß es noch so gut...
    Es war ein trüber, nebliger Morgen, der
Regen rieselte; zum Frühstück mußte ich Licht anzünden. Die Ställe auf der
gegenüberliegenden Straßenseite waren kaum zu erkennen, Taxis flitzten und
spritzten, und ich saß da und las den Brief einer Glücklichen, die mir von
ihrer Liebe erzählte. Der Tee, der vor mir stand, wurde kalt; die Spiegeleier
hart.
    Ich habe die Nachricht natürlich
freudig begrüßt, bin dann ins Schlafzimmer gegangen, habe mich fürs Büro
angezogen, und als ich meinen Schrank öffnete, um meinen Überrock
herauszunehmen, fiel mein erster Blick auf ihre Eisstiefel mit den
Schlittschuhen, die ich für ihre Rückkehr aufbewahrt hatte, für die Rückkehr zu
mir...
    Nun kommt sie nicht mehr zurück. Joan
Paget kommt nicht mehr nach England...
    Ja... man kann alt, sehr alt und
dennoch recht töricht sein.
    Als ich zur Wohnungstür ging, kam meine
Putzfrau, die schon bei der Arbeit war, aus dem Eßzimmer.
    «Mrs. Chambers», begrüßte ich sie.
«Erinnern Sie sich noch an Miss Paget, die manchmal hier war?»
    Sie erinnerte sich natürlich.
    «Und an Mr. Harman, der kürzlich hier
logiert hat? Die zwei haben sich in Australien verlobt.»
    «Nein, so etwas! Das freut mich aber!
So ein reizendes junges Mädchen!»
    «Ja, so ein reizendes junges Mädchen!
...»
    «Aber Sie haben ja Ihr Frühstück
stehenlassen, Sir! War etwas nicht recht?» fragte sie bestürzt.
    «O doch, Mrs. Chambers, ich hatte nur
keinen rechten Appetit. Adieu!»
    Der Morgen war kalt und rauh, die
Straßen von gelbem dunstigem Nebel erfüllt, der Husten verursachte. Wie im
Traum schritt ich meiner Kanzlei zu und dachte an Wallabys, an lachende
schwarze Stockmen, an blaue Meeresflut auf weißem Korallensand, an einen
Sarong, der von den Schultern glitt, und hörte mit einemmal ein jähes,
ohrenzerreißendes Bremsen; ein heftiger Stoß traf meinen rechten Arm, daß ich taumelte
und fast gestürzt wäre. Ich stand mitten auf der Pall Mall, quer vor mir ein
Auto. Im ersten Moment wußte ich gar nicht, was geschehen war, bis ich den
Taxichauffeur aufgeregt schreien hörte: «Seien Sie froh, daß Sie noch leben;
Sie haben verdammtes Glück gehabt!»
    «Verzeihen Sie, ich habe nicht
aufgepaßt!»Ich lüftete meinen Hut.
    «Wie kann man nur so blindlings über
die Straße laufen! Sie in Ihrem Alter sollten vernünftiger sein — haben Sie
sich weh getan?» fragte er mehr ärgerlich als besorgt.
    Ein kleiner Menschenauflauf entstand.
    «Nur ein bißchen gestoßen», antwortete
ich, hob und streckte versuchsweise den Arm. «Es ist nichts», beruhigte ich
ihn.
    «Ein Wunder!» versicherte er, «passen
Sie nächstes Mal besser auf!» Er schaltete den Motor ein und fuhr los.
    Ich ging in meine Kanzlei.
    Meine Sekretärin brachte mir wie
gewöhnlich die Post; ich ließ sie liegen. Ich habe wohl auch an diesem Morgen
wie meist ein paar Klienten beraten; ich weiß es nicht mehr. Mit meinen
Gedanken war ich zwölftausend Meilen weit weg. Einmal kam Lester Robinson
herein, es gab irgend etwas Juristisches, und ich sagte: «Erinnern Sie sich
noch an die kleine Paget? Sie hat sich in Australien verlobt. Er scheint recht
ordentlich zu sein, der junge Mann.»
    «Damit ist unsere Treuhänderschaft
endlich erloschen; ich weiß nicht mehr genau, ob —»
    «Nein», erklärte ich, «die geht weiter.
Bis sie fünfunddreißig ist!»
    «Wenn das nur endlich einmal erledigt
wäre!» brummte er. «Es ist für Sie eine solche Last!»
    «Keine Last, Lester, nein, wirklich nicht!»
    Als es Abend war, kannte ich Joans acht
Seiten langen Brief bereits auswendig, nahm ihn aber doch mit in den Klub. Dort
trank ich erst ein Glas Sherry und teilte meinem Freund Moore, der etwas von
der Geschichte wußte, die Verlobung mit. Und als ich nach

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