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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice
Autoren: Neville Shute
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nicht recht, während für
Joan, da sie das Reiseziel kannte, beides keine besonderen Schwierigkeiten bot.
Sie kam mit ihrem Anführer dahin überein, daß sie die Verhandlungen mit den Einheimischen
führen und deren Ergebnisse ihm mittels Zeichensprache mitteilen solle. Denn
die verstand er. Auch hatten die Malaiinnen vor ihr keine Angst, und so ergab
es sich, daß ihr von nun an die Aufgabe zufiel, den kürzesten Weg für die
Gefangenen auszukundschaften.
    An diesem Nachmittag geschah es, daß
Ben, der jüngere Sohn der verstorbenen Mutter Collard, mit den bloßen Füßen im
Gras auf etwas trat, das ihn biß und nachher verschwunden war. Es war wohl ein
Skorpion gewesen, es habe ausgesehen wie ein großer Käfer, sagte der Junge
nachher. Mrs. Horsefall legte ihn auf die Erde, saugte das Gift aus der Wunde,
aber der Fuß schwoll im Nu an, und die Entzündung verbreitete sich bis ans
Knie. Ben hatte beträchtliche Schmerzen, weinte und jammerte; an Gehen war
nicht zu denken. Man mußte ihn tragen, und das war für die geschwächten Frauen
ein schweres Stück Arbeit; er war ja schon sieben! Eine Stunde trug ihn der
Sergeant. Als sie in Dilit anlangten, war das Fußgelenk ein einziger Klumpen
und das Knie steif.
    In Dilit fanden sie weder Essen noch
Unterkunft. Es war ein typisches Malaiendorf. Die Hütten aus Bambus mit
Palmblätterdach standen vier Fuß über dem Erdboden auf Pfählen, zwischen
welchen Geflügel und Hunde hausten. Die Gefangenen standen oder saßen erschöpft
da. Der Sergeant verhandelte mit dem malaiischen Häuptling und rief sogleich
nach Joans Dolmetscherhilfe. Das Dorf besaß Reis und hätte ein Essen liefern
können, aber der Häuptling verlangte Bezahlung. Nur mit großer Schwierigkeit
war er auf des Sergeanten schriftliches Versprechen künftiger Bezahlung hin
dazu bereit, mit dem Reis herauszurücken. Unterkunft aber, erklärte er rundweg,
gebe es keine; die Gefangenen samt der Bewachung sollten sich unter den Hütten
bei Hunden und Federvieh eine Schlafstätte suchen. Erst spät fühlte er sich
bewogen, die kleinste der Hütten räumen zu lassen, und die ganze Schar schlief
auf einem Fußboden, der fünfzehn Quadratfuß maß.
    Joan sicherte der Familie Holland eine
Ecke. Neben ihnen mühte Mrs. Horsefall sich mit dem armen Ben ab. Irgend jemand
hatte noch etwas Permanganat, jemand anderer eine alte Rasierklinge. Damit
schnitt man, ungeachtet der Schreie des Knaben, die Wunde auf, tat Permanganat
drauf, verband sie und machte heiße Umschläge um Unterschenkel, Knöchel und Knie.
Joan, die dabei nicht helfen konnte und mochte, ging unterdessen im Freien auf
Kundschaft aus.
    In einer Art Gemeinschaftsküche des
Dorfes sah der japanische Sergeant zu, wie die Malaiinnen die versprochene
Reismahlzeit zubereiteten. Oben auf den Stufen, die zu der nebenan gelegenen
Hütte hinaufführten, hockte auf seinen Fersen ein grauhaariger Alter und
rauchte aus einer langen Pfeife. Es war der Häuptling. Seine Kleidung bestand
aus einem Sarong; der Oberkörper war mit einer khakigelben Drillichjacke
bekleidet, die wohl einmal zu einer Uniform gehört hatte.
    Joan trat vor ihn hin und sagte etwas
verlegen auf malaiisch: «Verzeiht, daß wir gezwungen waren, hierher zu kommen
und euch zur Last zu fallen!»
    Er stand auf und verneigte sich. «Mem»,
sagte er, «es ist keine Last. Es tut uns weh, Mems in dieser Lage zu sehen.
Kommt ihr von weit her?»
    «Heute aus Bakri», gab das Mädchen zur
Antwort.
    Er hieß sie in seine Hütte eintreten,
die keine Türe und keine andere Sitzgelegenheit aufwies als den Fußboden. Auf
diesem nahmen sie Platz. Er fragte sie nach ihren Erlebnissen. Sie erzählte
ihm, was geschehen war, und er knurrte. Alsbald kam auch seine Frau und brachte
aus ihrer Küche zwei Schalen schwarzen ungezuckerten Kaffee. Joan dankte ihr
auf malaiisch: die Frau lächelte scheu und zog sich sogleich zurück, worauf
wieder der Häuptling das Wort ergriff: «Der Kurze sagte» — er meinte den
Sergeanten — «ihr müßt morgen hierbleiben.»
    «Wir sind zu schwach, um jeden Tag zu
marschieren», antwortete Joan. «Der Japaner hat uns erlaubt, ein über den
anderen Tag zu rasten. Wenn wir uns morgen ausruhen dürften, wäre es uns eine
große Erleichterung. Der Sergeant versicherte, es gebe für die Verpflegung
Geld.»
    «Die Kurzen bezahlen nie etwas», wandte
der Häuptling ein. «Dennoch werdet ihr bleiben.»
    «Ich kann nichts tun als danken», sagte
Joan.
    Da hob der Alte das graue Haupt
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