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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice
Autoren: Neville Shute
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befanden sich in besserer Verfassung
als beim Aufbruch von Panong. Die gelockerte Disziplin, die zunehmende Übung
und die durch Früchte und Süßigkeiten verbesserte Kost wirkten aufmunternd und
anspornend. Bei den Älteren aber überwogen Erschöpfung, Krankheit und die
Strapazen jene Vorteile, und sie lagen und saßen apathisch im Dunkeln, zu müde
zum Essen, ja oft selbst zum Schlafen.
    Der Friedhof des Dorfes lag zu weit ab.
Doch der malaiische Ortsvorsteher wies ihnen eine Ecke beim Schuppen an; dort
sollten sie neben einem Abfallhaufen Mrs. Collard sofort begraben. Der Sergeant
holte zwei Kulis, die eine flache Mulde aushoben. Darin betteten sie die
Leiche, die mit einer Decke bedeckt war. Mrs. Horsefall las etwas aus ihrem
Gebetbuche vor, worauf man die Decke wegnahm, denn sie war unentbehrlich, und
dann schaufelten die Kulis das Grab zu.
    Joan fand einen Zimmermann, der ein
Holzkreuz zusammennagelte und keine Bezahlung dafür annehmen wollte. Er war
wohl Mohammedaner, vielleicht auch nur ein Geisteranbeter, aber er wußte, was
sich für ein christliches Begräbnis gehört. — Mit einem Tintenstift schrieb man
auf das Holz Julia Collard, darunter das Sterbedatum und hoffte, die Regen
würden es nicht verwischen. Über die weitere Inschrift entstand eine lebhafte
Diskussion. Dafür interessierten sich fast alle Frauen; es beschäftigte sie
eine halbe Stunde so, daß sie ihr Unglück vergaßen. Eileen Holland schlug
überraschenderweise Römer 14.4 vor: «Wer bist du, daß du einen fremden Knecht
richtest? Er steht oder fällt seinem eigenen Herrn.» Sie meinte damit den
Sergeanten, der sie zum Marschieren zwang. Aber die anderen Frauen waren dafür
nicht zu haben, und so einigten sie sich auf: «In Frieden mit den fernen
Lieben.» Das gefiel allen.
    Nach der Bestattung machten sich alle
daran, ihre Kleider zu waschen. Seife war rar, aber auch Geld war sehr rar
geworden. Daher berief Mrs. Horsefall nach dem Reis, zur Prüfung der
Finanzlage, eine Art Vollversammlung, bei der sich herausstellte, daß die
Hälfte der Frauen überhaupt kein Geld, die übrigen insgesamt fünfzehn Dollar
besaßen. Sie schlug vor, das Geld in eine gemeinsame Kasse zu tun, drang aber
damit nicht durch. Die Mütter mit Geld wollten es lieber für sich und ihre
Kinder behalten. Also ließ man es dabei; es hatte keinen Sinn, daraus eine
Affäre zu machen. Es war ja so wenig. Einstimmig wurde jedoch beschlossen, die
Lebensmittel gleichmäßig einzuteilen und die Verteilung des Essens zu regeln,
was auch geschah.
    Gegen Mittag tauchte plötzlich im Auto
des britischen Distriktsbevollmächtigten der Hauptmann Yoniata auf. Er war auf
der Fahrt nach Kuala Lumpur, und als er seine Gefangenen noch im Dorf und nicht
unterwegs erblickte, hielt er an, stieg wütend aus und putzte seinen Sergeanten
einige Minuten lang auf japanisch herunter. Der Beschimpfte stand stramm und brachte
kein Wort zu seiner Entschuldigung vor. Dann fuhr der Ergrimmte die Frauen an:
«Warum ihr nicht gehen? Sehr schlechte Ding. Ihr nicht gehen? Kein Essen.»
    Aber Mrs. Horsefall sagte ihm ins
Gesicht: «Diese Frauen sind zu Fußmärschen nicht imstande; das wissen Sie ganz
genau. Mrs. Collard ist letzte Nacht gestorben, und wenn Sie uns zwingen, jeden
Tag so weiterzulaufen, sterben auch wir.»
    «Frau gestorben woran?» fragte er:
«Krankheit? Was?»
    «Sie hatte Ruhr und Malaria hinter sich
wie die meisten von uns. Nach dem gestrigen Marsch ist sie an Erschöpfung
gestorben. Bitte, treten Sie ein und schauen Sie Mrs. Frith und Judy Thomson
an! Die hätten heute unmöglich weitergehen können.»
    Der Offizier trat in den Schuppen, sah
hinten im Halbdunkel zwei, drei reglose Gestalten, sagte etwas zum Sergeanten
und ging wieder zum Auto. Am Schlag wandte er sich an Mrs. Horsefall: «Sehr
bedaure. Frau tot. Vielleicht ich Lastwagen hole in Kuala Lumpur. Ich dort
verlangen.» Damit stieg er ein und fuhr ab.
    Seine Worte gingen sofort von Mund zu
Mund. Schon hieß es: er sei weggefahren, um ihnen einen Wagen zu besorgen; sie
brauchten nicht mehr zu marschieren, bis Kuala Lumpur gehe es nun per
Lastwagen, von da mit der Bahn nach Singapore. Dort kämen sie in ein
anständiges Camp zu anderen Engländerinnen, hätten ihre richtige Ordnung und
könnten sich um die Kinder kümmern. In einem Kriegsgefangenencamp sei auch ein
Lagerarzt und eine Abteilung für die Kranken... Die neue Hoffnung wirkte auf
alle belebend. Sogar die Apathischen kamen aus dem Schuppen hervor,
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