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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neville Shute
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sonstwie behilflich. Die Vorwürfe und
Beschimpfungen, mit denen er in Kuantan überhäuft worden war, lasteten schwer
auf ihm, und da ihm der Landsmann fehlte, mit dem er sonst immer geschwatzt
hatte, langweilte er sich, saß des Abends verstimmt, grollend, vergrämt
irgendwo abseits, und mehr als einmal versuchte die gutherzige Joan ihn
aufzuheitern und ihm Mut einzuflößen. Die Rollen des niedergeschlagenen
Gefangenen und des unbekümmerten Wärters schienen seltsam vertauscht.
    Auf dem ganzen Weg begegnete man nur
noch selten Japanern. Gelegentlich stießen sie bei einem Fluß oder Flughafen
auf ein Detachment. Dann riß der Sergeant sich zusammen und ging dem
diensttuenden Offizier Rapport erstatten, worauf dieser meist eine Besichtigung
abhielt. Doch sonst war kaum irgendwelcher Verkehr auf der Strecke Kuantan-Kota
Bahru, nur Fischerdörfer, nirgends ein größerer Ort. An einen Angriff der
Alliierten war an der Ostküste der Malaiischen Halbinsel nicht zu denken.
Mitunter verging eine Woche, ohne daß die Frauen auch nur einen Japaner außer
ihrem Sergeanten zu Gesicht bekamen.
    Auf dieser langsamen Küstenwanderung
gegen Norden geschah mit der ganzen Gesellschaft eine entscheidende Wandlung
zum Besseren. Das war nicht mehr die hilflose Schar, die vor sechs Monaten
weinend Kuala Panong verlassen hatte. Die Schwachen hatte der Tod rücksichtslos
ausgeschieden, und die auf die Hälfte verringerte Zahl fand in den Dörfern
willigere Aufnahme, vor allem auch, weil sie sich nahezu ganz der malaiischen
Lebensweise angepaßt hatten und nicht mehr krampfhaft bemühten, den westlichen
Lebensstil aufrechtzuerhalten. Sie wuschen, kleideten sich und schliefen wie
die Eingeborenen und ersparten dadurch vor allem viel Zeit. Zehn Meilen an
einem Tag verursachten ihnen keine Beschwerden mehr, und an den Rasttagen
konnten sie sich ganz anders als früher ihren Kindern widmen. Mrs. Warner als
ehemalige Volksschullehrerin erteilte nunmehr den Kindern an Rasttagen
regelmäßigen Schulunterricht, und Joan lehrte den kleinen Robin laufen.
    Er war jetzt anderthalb Jahre alt,
quick und gesund und zum Tragen schon bald zu schwer. Joan quälte ihn in dem
warmen Klima niemals mit Kleidern. Wie ein Malaienkind kroch er im Schatten der
Palmen und Casuarinabäume munter herum oder sonnte sich im Sande und war so
braun wie ein Eingeborenes.
    Sie rasteten in Ular und zogen weiter über
Chendar und Kalong, Penunjok, Kemasik und viele andere Fischerdörfer. Wenn
jemand krank wurde, was selten geschah, blieben sie mehrere Tage am selben Ort
und ließen das Fieber ausschwitzen. Kein Todesfall trat mehr ein. Von dem
grauenhaften Ende in Kuantan wurde nicht mehr gesprochen; man scheute sich, die
Erinnerung wachzurufen, doch lebte in allen ein sonderbares Gefühl, als sei
dies die Wendung zum Guten gewesen. Bei Mrs. Frith ging diese Empfindung am
tiefsten.
    Männer wie Frauen, welche nach einem jähen
Schicksalsschlage in tiefe, langwierige Nöte geraten, entwickeln, getrennt von
allen früheren, liebend gehegten Bindungen, nicht selten eine verwunderliche
Geisteshaltung.
    Joan tat nichts, diese Phantastereien
zu bannen, denn offenbar kamen sie den Frauen samt und sonders zustatten. Sie
selbst aber ließ sich davon nicht beeinflussen. Sie war von allen die jüngste,
die einzige Unverheiratete, und hatte von ihrem Aussie eine wesentlich andere
Vorstellung. Denn sie hatte ihn als einen durchaus normalen, mit vielen
menschlichen Schwächen behafteten Jüngling kennengelernt. Und wenn er zu ihr
gekommen war, um mit ihr zu plaudern, war sie — sie wußte es — hübscher
geworden und sicher auch anziehender. Wie in unbewußter Selbstverteidigung
hatte sie ihn niemals verbessert, wenn er sie statt Miss — Mrs. Paget oder Mrs.
Boong titulierte. Wenn er das Kleine an ihrer Hüfte für ihr eigenes und sie
selbst für verheiratet hielt, war dies vielleicht so am besten. Wenn er in der
heißen Tropennacht, wo beide kaum bekleidet waren, an einer Stätte mit
ungewöhnlichen — oder gar keinen — Sitten auch noch gewußt hätte, daß er ein
unverheiratetes junges Ding vor sich habe, hätte alles mögliche zwischen ihnen
passieren können, und zwar sehr plötzlich. Ihre Trauer um Joe war um vieles
realer und dabei tiefer als die der Verheirateten und keinesfalls aus dem
Grund, weil sie in ihm einen Heiligen gesehen hätte. Das war er nicht; sie
wußte es sehr genau.
     
    Gegen Ende August hatten sie den halben
Weg zwischen Kuantan und Kota Bahru

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