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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neville Shute
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zurückgelegt und befanden sich in einem
Dorfe mit Namen Kuala Telang, das ist Telangmünde. Der Telang ist ein kurzes,
schmutziges Flüßchen, das durch weite Reisfelder dem Meere zustrebt. Das Dorf
liegt an seinem Südufer bei der Mündung und ist vom Meer nur durch eine Düne
getrennt. Da wachsen Palmen und Casuarinabäume, auch Sumpfeichen genannt; die
Wogen des Südchinesischen Meeres verebben sacht im weißen Sande des weit
ausgedehnten Strandes. Das Dorf lebte von Fischfang und Reisbau.
    Im Flüßchen ankerten fünfzehn
Fischerboote, große offene Kähne mit Segeln und sonderbar flachen, hohen
Galionsfiguren an Bug und Heck. Auch einen Dorfplatz fanden sie dort, umgeben
von Läden aus Holz mit Palmblattdächern, und dahinter am Flußufer ein
Reisdepot, das zur Zeit leerstand und ihnen bald nach ihrer Ankunft als
Nachtquartier überlassen wurde.
    Der Sergeant mußte sich sogleich
hinlegen. Unterwegs hatte ihn hohes Fieber befallen, anscheinend Malaria. Der
traurige Zustand, in dem er sich seit Kuantan befand, seine Vereinsamung und
tiefe Niedergeschlagenheit hatten ihn offenbar aller Widerstandskraft beraubt.
Denn zuvor war er nie krank gewesen.
    Anfänglich empfanden einige Frauen eine
gewisse Schadenfreude und gönnten dem häßlichen, finsteren, mürrischen
Sonderling einen Denkzettel, doch als sie ihn mehr und mehr leiden sahen,
schlugen alle unschönen Gefühle in Teilnahme um. Schließlich hatte er lange
Zeit innerhalb der Grenzen seiner Vorschriften manches getan, ihr Los zu
erleichtern, hatte ihnen gern die Kinder getragen und hatte geweint, wenn eines
starb.
    Auf dem Marsch, sobald sich das Fieber
zeigte, hatten sie ihm das Gewehr, den Waffenrock, sein Bündel und schließlich
auch seine Stiefel getragen. Ihr Einzug ins Dorf mußte wohl einen recht
sonderbaren Anblick geboten haben: An der Spitze Mrs. Warner, die Lehrerin mit
dem kleinen gelben Manne, der notdürftig mit Hosen bekleidet wie benebelt
barfuß einherschwankte, hinter ihnen die Frauen und Kinder mit seiner
Ausrüstung und ihrer eigenen Traglast.
    Joan war sogleich zum Ortsoberhaupt
gegangen, hatte ihm ihre Lage dargelegt, um eine schattige Unterkunft für den
erkrankten Wärter gebeten und darauf hingewiesen, derselbe habe die Vollmacht,
«im Namen der Kaiserlich Japanischen Armee ‹Chits› (Requisitionsscheine) zu
unterzeichnen» und werde es sicherlich tun, sobald er wieder bei Bewußtsein
sei.
    «Er gibt Ihnen die Unterschrift; wir
brauchen ja nur eine Schlafstelle und Essen.» So bat sie.
    Mat Amin bin Taib war der Name des
Häuptlings von Kuala Telang. Er war etwa fünfzig und antwortete ihr: «Ich weiß
keinen Ort, wo weiße Mems hier nächtigen könnten.»
    «Wir sind keine weißen Mems mehr», rief
Joan, «wir sind Gefangene und dran gewöhnt, wie die Frauen bei euch zu leben!
Wir brauchen nichts als ein Obdach; Boden, auf dem wir schlafen dürfen, einen
Kochkessel mit Reis, etwas Fisch oder Fleisch, Gemüse...»
    «Ihr könnt haben, was wir haben»,
bemerkte Mat Amin kopfschüttelnd. «Das Leben ist sonderbar.»
    Er nahm den kranken Sergeanten in sein
eigenes Haus, brachte eine mit Kokosfasern gefüllte Matratze, ein ebensolches
Kissen und ein Moskitonetz, sein eigenes offenbar; doch die Frauen lehnten es
ab. Sie wußten: Der Fiebernde brauchte so viel Luft wie nur möglich. An Stelle
der Hosen gaben sie ihm einen Sarong und betten ihn auf die Matratze. Chinin hatten
sie keines mehr; statt dessen lieferte ihnen das Ortsoberhaupt einen eigenen
Absud. Den flößten sie dem Japaner ein. Dann übernahm Mat Amins Frau die
Krankenpflege, damit sie in ihr Quartier und zum Essen kämen.
    Als sie ihn am folgenden Morgen besuchten,
fanden sie seinen Zustand bedenklich. Nicht nur, daß das Fieber sehr hoch und
er sehr geschwächt war; er hatte sich allem Anschein nach auch selbst
aufgegeben, und das war ein schlimmes Zeichen. Die Frauen hielten den Tag über
abwechselnd Wache, machten ihm kühle Umschläge, wuschen ihn, redeten ihm auch
von Zeit zu Zeit gut zu, um seinen Lebensmut zu erwecken, doch mit geringem
Erfolg. Am Abend übernahm Joan die Pflege.
    Schlaff, stumpf lag er
schweißüberströmt auf dem Rücken und reagierte auf keine ihrer teilnahmsvollen
Fragen. Sie schaute sich nach etwas um, das sein Interesse erregen könnte, und
als sie seinen Waffenrock aufhob, fiel aus der Innentasche sein Soldbuch mit
einer Fotografie. Darauf sah man eine Japanerin, die mit vier Kindern bei einem
Hauseingang stand.
    Joan sagte: «Gunso! Ihre

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