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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neville Shute
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so, wie sie ist, an die Gerberei.» Er rollte sie auf und breitete
sie auf dem Fußboden der Verande neben dem Liegestuhl aus. «Hübsche Zeichnung,
feine Farbe, was? Gibt’s sowas in England? Nnnnä-ä!»
    Sehnsüchtige Erinnerungen stiegen vor
Joan beim Anblick der Alligatorenhaut auf. Sie sah im Geiste den roten Bus am
Great West Road in Perivale, sah Peck & Levy und Reihen von
Arbeiterinnen an ihren Werkbänken Krokodillederschuhe, Alligatorhandtaschen
oder Reisenecessaires aus Alligatorhaut anfertigen, und sie lachte auf: «Die
habe ich in England zu Hunderten gesehen! Das ist zufällig das einzige, wovon
ich etwas weiß! Ich komme nämlich aus einer Fabrik, die solche Häute zu Taschen
und Schuhen verarbeitet.» Sie hob die Haut vom Boden auf und befühlte sie.
«Unsere sind aber härter als die», bemerkte sie gleich. «Sie verstehen sich auf
die Zurichtung, Jeff. — Ausgezeichnet!»
    Es traten noch einige Männer hinzu. Was
sie soeben erzählt hatte, wurde sogleich in anderen Worten wiederholt, und bald
war die Firma Peck & Levy in aller Munde. Man zeigte sich äußerst
interessiert, denn von allen Alligatorenhäuten, die je den Bezirk verlassen
hatten, war nie wieder eine Kunde nach Willstown und in die Gulf Country
gedrungen.
    «Ich habe gewußt», sagte Jeff, «daß man
Schuhe daraus macht, aber ich habe nie welche gesehen.»
    Ein bestimmter Gedanke dämmerte in Joan
Paget auf. «Wieviel Stück», fragte sie, «erlegen Sie etwa im Jahr?»
    «Letztes Jahr», antwortete der alte
Jäger, «bin ich auf zweiundachtzig gekommen, aber der da, das ist natürlich nur
ein kleiner.» Die meisten Häute seien fünfundsiebzig bis neunzig Zentimeter
breit. «Der ‘gator da war kaum länger als drei Meter.»
    Joan, kurz entschlossen: «Wollen Sie
mir die Haut verkaufen, Jeff?»
    «Was wollen Sie mit dem Zeug
anfangen!?»
    «Ich will mir ein Paar Schuhe draus
machen», lachte sie. «Das heißt, wenn mir Tim Whelan ein Paar passende Leisten
zurechtzimmern kann!»
    Der alte Jäger schaute etwas verlegen
drein. «Ich will nichts dafür», brummte er vor sich hin; «die schenke ich
Ihnen.»
    Sie widersetzte sich erst ein wenig,
nahm aber dann die Gabe dankbar an.
    «Für die Sohlen brauche ich
Kalbsleder», setzte sie eifrig hinzu, «und etwas Festeres zur Verstärkung der
Fersen.»
    Ihre Hände liebkosten die
Alligatorenhaut. «Ich werde Ihnen schon zeigen, was ich mit dem Zeug anfange.»
     
     
     

Siebentes Kapitel
     
     
    Ihr erstes Paar Krokodillederschuhe
fertigte Joan auf dem Bett und dem Toilettentischchen in ihrer Schlafkammer an
— das heißt: zunächst mißglückten drei Paar, bis das erste brauchbare entstand.
    Im Anfang aber waren die Leisten, und
es waren nicht die ersten, die Tim Whelan, der Sarg- und Möbeltischler,
schreinerte; schon etliche Amateur-Flickschuster im Outback waren seine Kunden
gewesen, und als ihm Joan einen ihrer Schuhe gab und sich an beiden Füßen Maß
nehmen ließ, brachte er binnen zwei Tagen ihr Leistenpaar fertig. Wegen des
Sohlen-, Absatz- und Fersenleders wandte sie sich an Pete Fletcher, der das
entsprechend dicke Stück Kuhhaut für die Sohlen und Stierhaut für die Absätze
lieferte. Das Innenfutter bildete schon ein schwereres Problem, bis einer zu
diesem Zweck die Haut eines jungen Wallaby, des kleinen australischen
Känguruhs, empfahl, worauf Pete sich auf den Weg machte, eines erlegte,
abbalgte und die Haut in Zusammenarbeit mit Al Burns und Don Duncan auf dem
Hinterhof von Bill Duncans Warenhaus gerbte.
    Gewiß, es handelte sich nur um ein
einziges Exemplar, und doch wurde dieses Paar Schuhe im Leben von Willstown ein
so gewichtiger Faktor, daß Joan ihre Reise nach Cairns um eine Woche
verschieben mußte. Dann nochmals um eine Woche. Die Wallabyhaut für das Futter
war nämlich noch nicht fertig gegerbt, weshalb das erste Paar mit weißem Satin
aus Duncans Warenhaus gefüttert wurde. Vom Büro und vom Zuschauen her war Joan
mit allen Einzelheiten der Schuhmacherei vertraut, hatte aber nie selbst Hand
angelegt; daher fiel ihr Probestück schrecklich aus. Es drückte an den Zehen,
am Rist, die Fersen waren fast drei Millimeter zu weit; das Atlasfutter taugte
nichts, und das Ganze war durch den unvermeidlichen Schweiß fleckig geworden.
    Aber es waren Schuhe, und jemand, dem
sie zufällig paßten, hätte sie getrost tragen dürfen. Sie selbst jedoch glaubte
sich darin den Männern nicht präsentieren zu können. Ein zweites Paar mußte
her!
    Sie ließ die Leisten von

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