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Eine Studie in Scharlachrot

Eine Studie in Scharlachrot

Titel: Eine Studie in Scharlachrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Conan Doyle
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ist das der Grund, aus dem wir von ihr so subtil beeinflußt werden. In unseren Seelen befinden sich vage Erinnerungen an jene nebelhaften Jahrhunderte, da die Welt noch in ihrer Kindheit war.«
    »Das ist eine ziemlich weit reichende Vorstellung«, bemerkte ich.
    »Unsere Vorstellungen müssen so weit reichen wie die Natur selbst, wenn sie die Natur deuten sollen«, antwortete er. »Was ist mit Ihnen? Sie sehen nicht sehr gut aus. Diese Sache in der Brixton Road hat Sie mitgenommen.«
    »Um die Wahrheit zu sagen, ja«, erwiderte ich. »Nach meinen afghanischen Erfahrungen sollte ich eigentlich abgehärteter sein. In Maiwand habe ich meine eigenen Kameraden gesehen, wie sie in Stücke gehackt wurden, ohne daß ich meine Nerven verlor.«
    »Ich kann Sie verstehen. Hierbei ist ein Rätsel, das die Phantasie aufreizt; wo keine Phantasie ist, da ist auch kein Grauen. Haben Sie die Abendzeitung gesehen?«
    »Nein.«
    »Sie enthält einen ganz guten Bericht über die Angelegenheit. Darin wird nicht erwähnt, daß, als der Mann aufgehoben wurde, der Trauring einer Frau zu Boden gefallen ist. Es ist gut, daß das nicht erwähnt wird.«
    »Warum?«
    »Schauen Sie sich diese Annonce an«, antwortete er. »Ich habe heute morgen, unmittelbar nach der Affaire, den Text an alle Zeitungen schicken lassen.«
    Er warf mir die Zeitung zu, und ich betrachtete die von ihm bezeichnete Stelle. Es handelte sich um die erste Annonce unter der Rubrik »Gefunden«. Sie lautete: »Heute früh wurde in der Brixton Road, auf der Fahrbahn zwischen der White Hart Tavern und Holland Grove, ein einfacher goldener Trauring gefunden. Anfragen an Dr. Watson, 221 B, Baker Street, zwischen acht und neun Uhr heute abend.«
    »Verzeihen Sie, daß ich Ihren Namen verwendet habe«, sagte er. »Wenn ich meinen eigenen genommen hätte, dann hätte einer dieser Dummköpfe ihn womöglich erkannt und sich in die Sache einmischen wollen.«
    »Das geht in Ordnung«, antwortete ich. »Aber angenommen, jemand meldet sich – ich habe keinen Ring.«
    »Oh doch, den haben Sie wohl«, sagte er; er reichte mir einen. »Der hier wird für den Zweck vollauf genügen. Er ist fast ein Faksimile.«
    »Und wer wird sich, Ihrer Meinung nach, auf diese Anzeige melden?«
    »Na, der Mann im braunen Mantel – unser blühender Freund mit den eckigen Zehen. Wenn er nicht selbst kommt, wird er einen Komplizen schicken.«
    »Wird er das nicht für zu gefährlich halten?«
    »Keineswegs. Wenn meine Sicht des Falles korrekt ist, und ich habe allen Grund, dies anzunehmen, dann würde der Mann alles riskieren, um nicht den Ring zu verlieren. Wie ich es sehe, hat er ihn verloren, als er sich über Drebbers Leichnam beugte, und zunächst hat er ihn nicht vermißt. Nachdem er aus dem Haus war, hat er seinen Verlust bemerkt und ist zurückgeeilt, aber da hat er bereits die Polizei dort vorgefunden, dank seiner eigenen Dummheit, weil er die Kerze hatte brennen lassen. Er mußte den Betrunkenen spielen, um allen Verdacht zu beschwichtigen, den sein Auftauchen am Tor hätte hervorrufen können. Nun versetzen Sie sich in die Lage des Mannes. Wenn er die Sache überdenkt, muß es ihm als möglich erscheinen, daß er den Ring auf der Straße verloren, nachdem er das Haus verlassen hatte. Was soll er nun tun? Er wird ungeduldig auf die Abendzeitungen warten, in der Hoffnung, den Ring unter den gefundenen Gegenständen zu sehen. Natürlich wird sein Auge darauf fallen. Er wird überglücklich sein. Warum sollte er befürchten, daß es eine Falle ist? In seinen Augen gibt es doch keinen Grund, den Fund des Rings mit dem Mord zusammenzubringen. Also müßte er kommen. Er wird kommen. Innerhalb einer Stunde werden Sie ihn sehen.«
    »Und dann?« fragte ich.
    »Ach, Sie können es mir überlassen, mit ihm fertig zu werden. Haben Sie irgendeine Waffe?«
    »Ich habe meinen alten Armeerevolver und ein paar Patronen.«
    »Dann sollten Sie ihn besser reinigen und laden. Der Mann wird verzweifelt und zu allem entschlossen sein; und wenn ich ihn auch überraschen werde, kann es doch nicht schaden, auf alles vorbereitet zu sein.«
    Ich ging in meinen Schlafraum und folgte seinem Ratschlag. Als ich mit der Waffe zurückkehrte, war der Tisch abgeräumt, und Holmes hatte sich seiner Lieblingsbeschäftigung ergeben: Er kratzte auf der Geige herum.
    »Die Sache verdichtet sich«, sagte er, als ich eintrat. »Ich habe eben eine Antwort auf mein Telegramm nach Amerika erhalten. Meine Sicht des Falles ist

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