Eine Studie in Scharlachrot
seine legte, und wie er aufschaute, sah er sie neben sich stehen. Ein Blick in ihr bleiches, entsetztes Gesicht zeigte ihm, daß sie angehört hatte, was vorgefallen war.
»Ich konnte nicht anders«, sagte sie. »Seine Stimme dröhnte durch das Haus. Oh, Vater, Vater, was sollen wir nur tun?«
»Gräm dich nicht«, antwortete er; er drückte sie an sich und fuhr mit seiner großen, rauhen Hand liebevoll über ihr kastanienbraunes Haar. »Auf die eine oder andere Weise werden wir das schon regeln. Du hast nicht das Gefühl, daß deine Zuneigung zu diesem Jungen nachläßt, oder?«
Ihre einzige Antwort war, daß sie schluchzte und seine Hand drückte.
»Nein, natürlich nicht. Es wäre mir auch gar nicht lieb, wenn du das sagtest. Er ist ein guter Junge und ein Christ, und das ist immer noch mehr als all die Leute hier, trotz all ihres Betens und Predigens. Morgen bricht eine Gruppe nach Nevada auf, und ich werde es schon schaffen, ihm eine Botschaft zu schicken, damit er weiß, in welcher Klemme wir stecken. Wenn ich den jungen Mann richtig einschätze, wird er hier mit einem Tempo auftauchen, das Elektrotelegraphen umhauen würde.«
Lucy lachte unter Tränen über den Vergleich ihres Vaters. »Wenn er kommt, wird er uns raten, was am besten ist. Aber deinetwegen habe ich Angst, lieber Vater. Man hört … man hört so schreckliche Geschichten über die, die sich dem Propheten widersetzen; immer geschieht etwas Furchtbares mit ihnen.«
»Noch haben wir uns ihm aber nicht widersetzt«, antwortete ihr Vater. »Wenn es so weit ist, können wir uns immer noch fürchten. Wir haben einen ganzen Monat; wenn er vorbei ist, schätze ich, sollten wir besser aus Utah verschwinden.«
»Utah verlassen!«
»Darauf läuft es hinaus.«
»Aber die Farm?«.
»Wir werden so viel Geld wie möglich auftreiben und auf den Rest verzichten. Um die Wahrheit zu sagen, Lucy, das ist nicht das erste Mal, daß ich daran gedacht habe. Ich habe keine Lust, vor irgendwem zu kriechen, wie die Leute hier es vor ihrem verdammten Propheten tun. Ich bin ein freigeborener Amerikaner, und mir ist das alles neu. Ich bin wohl zu alt, um es noch zu lernen. Wenn er sich wieder um die Farm herumtreibt, könnte es sein, daß er zufällig mit einer Ladung Rehposten zusammenstößt, die in die andere Richtung unterwegs ist.«
»Aber sie werden uns nicht gehen lassen«, wandte seine Tochter ein.
»Warte, bis Jefferson kommt, dann werden wir alles bald regeln. Inzwischen quäl dich nicht, Liebes, und sieh zu, daß deine Augen nicht aufschwellen, sonst nimmt er mich auseinander, wenn er dich sieht. Wir brauchen vor nichts Angst zu haben, und es gibt überhaupt keine Gefahr.«
John Ferrier machte diese tröstlichen Bemerkungen in einem sehr überzeugten Ton, aber es konnte ihr nicht entgehen, daß er an diesem Abend ungewöhnliche Sorgfalt auf das Schließen der Türen verwandte und daß er. die rostige alte Flinte, die an der Wand in seinem Schlafraum gehangen hatte, sorgsam reinigte und lud.
Fußnoten
A1 Heber C. Kemball spielt in einer seiner Predigten mit diesem liebenswerten Epitheton auf seine hundert Frauen an. [Anmerkung des Autors]
11. Eine Flucht ums nackte Leben
Am Morgen nach diesem Gespräch mit dem mormonischen Propheten ging John Ferner nach Salt Lake City, und nachdem er seinen Bekannten, der nach Nevada reisen wollte, gefunden hatte, vertraute er ihm seine Botschaft an Jefferson Hope an. Darin teilte er dem jungen Mann mit, daß ihnen unmittelbare Gefahr drohe und daß er dringend zurückkommen solle. Nachdem er dies erledigt hatte, fühlte er sich besser und kehrte mit leichterem Herzen nach Hause zurück.
Als er sich der Farm näherte, sah er zu seiner Überraschung ein Pferd an jeden der beiden Pfosten des Tores gebunden. Noch überraschter war er, als er bei seinem Eintritt zwei junge Männer vorfand, die seinen Wohnraum mit Beschlag belegt hatten. Einer, mit einem langen blassen Gesicht, lehnte im Schaukelstuhl und hatte die Füße auf den Ofen gelegt. Der andere, ein stiernackiger junger Mann mit groben, aufgedunsenen Zügen, stand mit den Händen in der Tasche am Fenster und pfiff ein beliebtes Kirchenlied. Beide nickten Ferrier zu, als er eintrat, und der Mann im Schaukelstuhl eröffnete das Gespräch.
»Vielleicht kennst du uns nicht«, sagte er. »Dies hier ist der Sohn des Ältesten Drebber, und ich bin Joseph Stangerson, der mit dir durch die Wüste ritt, als der Herr Seine Hand ausstreckte und dich in die Wahre Herde
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