Eine Sündige Nacht
Fingerspitzen waren eisig, wofür die Klimaanlage des Krankenhauses nur zum Teil verantwortlich war. Ihre Handflächen waren schweißnass.
»Nein. Wir haben dieses Thema nicht erörtert«, sagte sie ehrlich.
»Na, damit du nicht auf falsche Gedanken kommst, werde ich dir mal erzählen, wie es wirklich war. Ich habe Rink nicht gebeten, zu verschwinden und zwölf Jahre lang wegzubleiben. Er wusste, dass ich stinksauer auf ihn war, aber nicht wegen diesem schwangeren Mädchen.« Er kicherte. »So was in der Art hatte ich schon erwartet. Jungs sind eben Jungs. Sie holen es sich, wo sie es bekommen können, nicht wahr?«
Sie drehte sich weg. Seine Worte drangen wie Lanzenspitzen in sie ein. »Wahrscheinlich.«
Er lachte knurrend. »Oh, glaub mir. Ein Mann würde alles tun, alles sagen, um unter den Rock einer Frau zu gelangen. Besonders, wenn sie halbwegs willig ist.«
Sie schloss die Augen, unterdrückte die Tränen, schob seine Worte beiseite, verdrängte ihr eigenes Schamgefühl.
»Natürlich will ein Mann nicht auf die Art dabei erwischt werden wie Rink. Als Frank George zu mir kam, um mir zu sagen, dass Rink seine Marilee flachgelegt hatte und sie schwanger wäre, habe ich sofort gesagt, Rink würde sie heiraten. Das war die einzig ehrenhafte Lösung, oder?«
»Ja.« Es schmerzte sie, das Wort auszusprechen.
»Na, dieser Spitzbube sagte mir jedenfalls, dass er nichts davon wissen wolle. Das war die eigentliche Schande. Nicht, dass Rink mit runtergelassener Hose erwischt worden war, sondern dass er nicht für seinen leichtsinnigen Fehler einstehen wollte. Er teilte mir mit, dass er für immer fortgehen würde, wenn ich ihn zwingen würde, das Mädchen zu heiraten.«
Er seufzte, als ob ihm die Erinnerung daran wehtat. »Ich musste das Richtige tun, oder, Caroline? Ich zwang ihn, das Mädchen zu heiraten. Es war seine Entscheidung, danach abzuhauen, nicht meine. Also brauchst du ihn nicht zu bedauern, egal, was er dir erzählt. Er hat sich sein Bett gemacht und muss den Rest seines Lebens darin liegen.«
Er verstummte. Sie stand eine lange Zeit am Fenster und starrte hinaus. Sie war sich sicher, dass er ihre Verzweiflung sofort entdecken würde, wenn sie sich umdrehte. Als sie sich wieder im Griff hatte, ging sie zu ihm zurück. Sie sah, dass seine Augen geschlossen waren, als sie sich über ihn beugte, und vermutete, er würde schlafen. Leise machte sie sich auf, das Zimmer zu verlassen, aber plötzlich schoss seine Hand mit unheimlicher Geschwindigkeit und Stärke hervor und umfasste ihr Handgelenk. Erschrocken schnappte sie nach Luft.
»Du benimmst dich doch immer noch wie eine Ehefrau, Caroline?«
Sie fürchtete sich vor seinen glühenden Augen, genauso wie vor seiner Frage. »Natürlich. Wie meinst du das?«
»Ich meine das so, dass du es bereuen würdest, wenn du dich auf eine Art aufführtest, die nicht zu dem Benehmen einer trauernden, untröstlichen Ehefrau passen würde, die ihrem Ehemann beim Sterben zusieht.« Seine Finger verdrehten ihre zierlichen Fingerknochen so lange, dass sie Angst hatte, sie würden gleich brechen. Woher nahm er diese Stärke?
»Sprich doch bitte nicht übers Sterben, Roscoe.«
»Warum denn nicht? Das ist nun mal eine Tatsache.« Wieder versuchte er, sich aufzusetzen. Spucke sammelte sich in seinen bläulichen Mundwinkeln, als er sie anzischte. »Aber merke dir eins: Bis ich tot bin, bist du meine Ehefrau und benimmst dich gefällst auch so.«
»Das werde ich«, schwor sie außer sich und versuchte, ihm ihre Hand zu entziehen. »Ich meine, das tue ich.«
»Ich habe nie allzu viel von der Religion gehalten, aber ich glaube an eine Sache. Wenn man darüber nachdenkt, ein Gebot zu übertreten, dann gilt es als übertreten. Hast du das auch in der Sonntagsschule gelernt?«
»Ja«, rief sie verzweifelt aus. Sie fürchtete sich vor ihm und wusste nicht, warum.
»Hast du daran gedacht, ein Gebot zu übertreten?«
»Nein.«
»Wie zum Beispiel Ehebruch?«
»Nein!«
»Du bist meine Ehefrau.«
»Ja.«
»Denk immer dran.«
Damit verließen ihn seine Kräfte, und er fiel zurück in seine Kissen, keuchend, nach Luft ringend. Caroline entwand ihre Hand diesem Todesgriff und rannte zur Tür. Sie hatte nur noch Flucht im Sinn, fing sich aber gerade noch rechtzeitig und ging auf eine Krankenschwester zu. »Mein Mann«, japste sie. »Ich glaube, er braucht eine Injektion. Er ist furchtbar aufgewühlt.«
»Wir kümmern uns um ihn, Mrs. Lancaster«, sagte die Schwester
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