Eine Tankstelle fuer die Seele
dass wir uns gegenseitig beeinflussten. Die einen waren zögerlicher, die anderen vollkommen überzeugt von dem, was sie taten, überzeugt, im Recht zu sein. Besonders eindrücklich war die anschließende Schilderung der Frau, die während der ganzen Zeit am Boden gelegen hatte und so wie wir anderen in dieser Rolle und den damit verbundenen Gefühlen und Ängsten aufgegangen war. In ein sehr zwiespältiges Gefühl verstrickt und dementsprechend überfordert fühlte sich der Mann, der die Rolle des Jesus übernommen hatte. Besonders erschreckt hatte ihn dann die plötzlich aufkommende Sicherheit und ein besonderes Gefühl der Autorität. Auch er war ein Stück weit in seine eigene Geschichte, in seine eigenen Gefühle geraten. Die einzige Vorgabe war ursprünglich nur die jeweilige Rolle gewesen, wie wir sie aus der Bibel kannten. Was dann geschah, hatte sehr viel mit unserer eigenen Geschichte zu tun, das heißt, wir hatten ganz unmittelbar erfahren, wie archetypische Bilder und archetypisches Geschehen energetisch direkt auf uns wirkten.
Vielleicht kennen Sie die Erfahrung, dass in einer Art Geistesblitz etwas oder jemand auftaucht, von dem Sie sich tief berührt fühlen.
Mich lud spontan eine Bank direkt vor dem Eingang einer kleinen gotischen Kirche abseits von einem Dorf in der Nähe des Chiemsees zu einer Pause ein. Hier konnte ich in Ruhe den schönen kleinen, alten Friedhof betrachten, der die Kirche umgibt. Nach einer Weile überließ ich mich der wohligen Entspannung und döste in der Sonne vor mich hin. Plötzlich glaubte ich eine Stimme zu hören, die mich zu einem der Gräber führen wollte. Ich schaute mich um, entdeckte aber niemanden, also musste ich geträumt haben. Trotzdem stand ich auf, um der Einladung zu folgen, aber sofort schaltete sich mein Verstand ein. Was soll denn das nun, es war nur einer der vielen Gedanken, die, wie die Inder sagen, wie »eine Affenherde« durch den Kopf wandern. Aber die innere Stimme war hartnäckig und es zog mich auf die Rückseite der Kirche. Da ich aber meinen Zweifel nicht so recht überwinden konnte, beschloss ich, die Augen zu schließen und mich Schritt für Schritt vorwärtszubewegen, um zu sehen, wo ich landen würde. Als ich die Augen öffnete, stand ich vor einem Grab mit einem wunderschönen alten gusseisernen Kreuz, darauf waren die zwei Namen eines Ehepaars mit Geburts- und Sterbedaten vermerkt und darunter stand: Kinderärztin und Kinderarzt. Ich stand einige Zeit versunken davor, als ich die Stimme wieder zu hören glaubte. »Wir Seelen, die wir uns in einer anderen Welt befinden, würden euch gerne helfen, aber ihr müsst uns darum bitten, denn sonst können wir nichts tun.« Als ich gerade noch grübelte, was diese Information zu bedeuten hatte, sprach mich eine alte Frau an, die wohl schon eine Weile mit einer Gießkanne in meiner Nähe gestanden hatte. Sie gesellte sich zu mir und fing ein Gespräch an, fragte mich, ob ich die Verstorbenen gekannt hätte, was ich verneinte. Als würden wir uns lange kennen, setzten wir uns gemeinsam auf die Bank vor der Kirche, und sie erzählte mir von dem wechselnden Schicksal dieser Kirche und von der Vergangenheit des Platzes. Vor Jahrhunderten war es ein Pestfriedhof gewesen, deshalb seine Lage außerhalb des Dorfes. Sinnend meinte sie, dass wir uns ja jetzt vermutlich auf einem Platz über lauter Gebeinen befinden würden. Von dem Arztehepaar, das in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts gestorben war, wusste sie nur, dass es sich um sehr gute Menschen gehandelt habe, das war weithin bekannt.
Diese Geschichte erzähle ich, weil sie viele archetypische Bilder enthält: den Friedhof, die Kirche, das Grab, eine alte Frau usw. Und jedes dieser Bilder wirkt in unterschiedlichen Lebenssituationen anders auf uns. Wenn wir selbst gerade den Verlust eines geliebten Menschen betrauern, empfinden wir einen Friedhof, ein Grab anders, als wenn wir – wie ich – nach einem langen Spaziergang hier Rast machen.
Ein weiterer Grund, warum ich Ihnen diese Geschichte erzähle, ist die weitere Entwicklung und der positive Ausgang. Auf dem Nachhauseweg fiel mir nämlich eine Patientin ein, die seit einigen Monaten um das Leben ihres krebskranken Kindes kämpfte. Ich rief sie an und erzählte ihr von meiner Erfahrung und ermunterte sie, für ihr Kind um Hilfe aus der geistigen Welt zu bitten. Ich schilderte ihr den Ort meines Erlebnisses und erfuhr kurze Zeit später, dass sie zu dieser Kirche gefahren war. Dabei
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