Eine Tiefe Am Himmel
Bartisch des Salons. Benny und Qiwi waren jetzt halb außer Sicht und stritten über irgendein Geschäft. Unter all dem Aufsteiger-Wahnsinn hatte Trud Silipan manches richtig erfasst. Im Laufe der letzten paar Jahre war der Untergrund hier aufgeblüht. Es war nicht die gewaltsame Subversion von Jimmy Diems Verschwörung. Im Denken der beteiligten Dschöng-Ho-Leute war es überhaupt keine Verschwörung, sondern nur die Fortführung der Geschäfte. Benny und sein Vater und Dutzende andere umgingen regelmäßig Festlegungen des Hülsenmeisters und verletzten sie sogar. Bisher hatte Nau sie nicht bestraft; bisher hatte der Dschöng-Ho-Untergrund die Situation für fast alle anderen verbessert. Pham hatte schon ein paarmal so etwas erlebt – wenn welche von der Dschöng Ho nicht wie freie Menschen Handel treiben konnten, nicht fliehen und nicht kämpfen.
Die kleine Qiwi Lin Lisolet stand im Mittelpunkt von alledem. Phams Blick ruhte staunend auf ihr. Einen Augenblick lang vergaß er, ein finsteres Gesicht zu machen. Qiwi hatte so viel eingebüßt. Nach manchen Ehrbegriffen hatte sie sich verkauft. Da war sie, Wache um Wache im Einsatz und in der Lage, mit allen möglichen Leuten Geschäfte zu machen. Pham verbarg das freundliche Lächeln, das sich auf seine Lippen stehlen wollte, und runzelte die Stirn. Wenn Trud Silipan oder Jau Xin jemals erfuhren, wie er für Qiwi Lisolet empfand, würden sie ihn für völlig verrückt halten. Wenn ein kluger Kopf wie Tomas Nau es je erfasste, könnte er eins und eins zusammenzählen – und das wäre das Ende von Pham Trinli.
Wenn Pham Qiwi Lisolet anschaute, sah er – mehr als je zuvor im Leben – sich selbst. Gewiss, Qiwi war weiblich, und Sexismus war eine von Trinlis Eigenarten, die nicht gespielt waren. Doch die Ähnlichkeit zwischen ihnen ging tiefer als das Geschlecht. Qiwi war – was, acht Jahre? – alt gewesen, als sie zu dieser Reise aufgebrochen war. Sie hatte fast ihre halbe Kindheit im Dunkel zwischen den Sternen verbracht, allein bis auf die Wartungswachen der Flotte. Und jetzt wurde sie in eine total unterschiedliche Kultur geworfen. Und immer noch hielt sie sich und stellte sich jeder neuen Herausforderung. Und sie war am Gewinnen.
Phams Gedanken richteten sich nach innen. Er hörte seinen Zechbrüdern nicht mehr zu. Er beobachtete nicht einmal Qiwi Lin Lisolet. Er erinnerte sich an eine Zeit, die über dreitausend Jahre zurücklag, drei Jahrhunderte seines eigenen Lebens.
Canberra. Pham war dreizehn gewesen, der jüngste Sohn von Tran Nuwen, dem König und Herrscher des ganzen Nordlandes. Pham war mit Schwertern und Gift und Ränken aufgewachsen, hatte in steinernen Burgen an einem kalten, kalten Meer gelebt. Zweifellos wäre er am Ende ermordet oder allenfalls König geworden, wenn das Leben auf mittelalterliche Weise weitergegangen wäre. Doch als er dreizehn war, wurde alles anders. Eine Welt, die von Flugzeugen und Radio nur Legenden besaß, wurde mit interstellaren Kauffahrern konfrontiert, der Dschöng Ho. Pham erinnerte sich noch an den schwarzen Fleck, den ihre Landefähren in den Großen Sumpf südlich des Schlosses gebrannt hatten. Binnen eines einzigen Jahres wurde Canberras Feudalpolitik auf den Kopf gestellt.
Die Dschöng Ho hatte drei Schiffe in die Expedition nach Canberra investiert. Sie hatte sich schwer verrechnet, hatte geglaubt, die Einheimischen wären bei ihrer Ankunft auf einem viel höheren technischen Niveau. Doch Tran Nuwens Reich konnte sie nicht einmal mit dem Nötigen zum Weiterflug versorgen. Zwei von den Schiffen blieben zurück. Der junge Pham flog mit dem dritten ab – ein verrückter Geiseltausch, den sein Vater für einen guten Schachzug gegenüber den Sternenfahrern hielt.
Phams letzter Tag auf Canberra war kalt und neblig. Die Reise von den Mauern der Burg hinab in die Sumpfniederung dauerte den größten Teil des Vormittags. Es war das erste Mal, dass er die gewaltigen Schiffe der Besucher aus der Nähe sehen durfte, und der kleine Pham Nuwen war außer sich vor Freude. Vielleicht hatte es in Phams Leben nie einen anderen Augenblick gegeben, da er so vieles falsch und umgekehrt verstand: Die Sternenschiffe, die aus dem Nebel emporragten, waren einfach Landefähren. Der hoch gewachsene, fremdartige Kapitän, der Phams Vater begrüßte, war in Wahrheit ein Zweiter Offizier. Respektvoll drei Schritte hinter ihm ging eine junge Frau, das Gesicht in kaum verhohlenem Unbehagen verzerrt – eine Konkubine? Eine Dienerin?
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