Eine Tiefe Am Himmel
niemand weiß, wie die Sonne funktioniert. Aber es gibt theoretische und praktische Hinweise auf die Kraft des Atoms.«
Ein paar Minuten früher hätte Unnerbei gelacht. Selbst jetzt konnte er sich den Hohn in der Stimme nicht verkneifen. »Radioaktivität? Du willst uns mit Tonnen von angereichertem Radium warm halten?« Vielleicht bestand das große Geheimnis darin, dass das Oberkommando der Krone die Heftchen der Erstaunlichen Wissenschaft las.
Derlei Ungläubigkeit perlte an Unterberg so glatt wie immer ab. »Es gibt mehrere Möglichkeiten. Wenn sie mit Phantasie weiter verfolgt werden, zweifle ich nicht daran, dass ich bis zum nächsten Schwinden die Zahlen auf meiner Seite haben werde.«
Und die Generalin sagte: »Nur damit Sie es verstehen, Feldwebel. Ich habe durchaus Zweifel. Aber das ist etwas, das wir uns nicht leisten können zu ignorieren. Sogar wenn der Plan nicht funktioniert, könnte sein Versagen eine Waffe bedeuten, die tausendmal tödlicher als alles im Großen Krieg wäre.«
»Tödlicher als Giftgas in einer Tiefe?« Auf einmal wirkte das Unwetter draußen nicht so düster wie das, was Viktoria Schmid gerade gesagt hatte.
Er bemerkte, dass sie einen Augenblick lang ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihn konzentrierte. »Ja, Feldwebel, schlimmer als das. Unsere größten Städte könnten binnen Minuten zerstört werden.«
Unterberg sprang fast von seinem Gitter. »Der schlimmste Fall! Der schlimmste Fall! Das ist alles, woran ihr Militärs jemals denken könnt. Schau, Unnerbei. Wenn wir die nächsten dreißig Jahre daran arbeiten, werden wir wahrscheinlich Energiequellen bekommen, die unterirdische Städte – keine Tiefen, sondern wache Städte – das Dunkel hindurch versorgen können. Wir können Straßen frei von Eis und Luftschnee halten – und mitten im Dunkel bleiben sie dann auch so. Der Verkehr an der Oberfläche könnte viel einfacher sein, als er den größten Teil der Hellzeit über ist.« Er deutete auf den peitschenden Regen hinter den Fenstern des Sportwagens.
»O ja, und ich nehme an, der Luftverkehr könnte ähnlich vereinfacht werden«, wenn die ganze Luft am Boden liegt. Doch Unnerbeis Sarkasmus klang sogar in seinen eigenen Ohren schwach. Ja, mit einer großen Energiequelle könnten wir es vielleicht schaffen.
Unnerbeis Gesinnungswechsel war wohl deutlich geworden; Unterberg lächelte. »Du verstehst also! In fünfzig Jahren werden wir auf diese Zeit zurückblicken und uns fragen, wieso es nicht offensichtlich war. Das Dunkel ist eigentlich eine günstigere Phase als die meisten anderen Zeiten.«
»Hm-ja.« Er schüttelte sich. Manche würden es Gotteslästerung nennen, aber… »Ja, das wäre wunderbar. Du hast mich nicht überzeugt, dass es zu machen ist.«
»Wenn es sich überhaupt machen lässt, wird es sehr schwer werden«, sagte Schmid. »Uns bleiben noch ungefähr dreißig Jahre bis zum nächsten Dunkel. Wir haben ein paar Physiker, die glauben, dass Atomkraft – theoretisch – funktionieren kann. Aber bei Gott dem Tiefsten, es hat bis 58//10 gedauert, dass man überhaupt von der Existenz der Atome erfuhr! Ich habe das Oberkommando davon überzeugt; bei den Kosten werde ich garantiert meine Stellung verlieren, wenn es schief geht. Aber wissen Sie – tut mir Leid, Scherkaner –, am liebsten wäre mir, es funktionierte überhaupt nicht.«
Sonderbar, dass sie in der Frage die traditionellen Ansichten teilt.
Scherkaner: »Es wird wie die Entdeckung einer neuen Welt sein!«
»Nein! Es wäre, als ob wir unsere Welt neu kolonisierten. Scherk, lass uns das Szenario für den ›besten Fall‹ betrachten, den wir Militärs angeblich immer außer Acht lassen. Sagen wir, die Wissenschaftler kriegen die Sache hin. Sagen wir, in zehn Jahren, also etwa 60//20, beginnen wir mit dem Bau von Atomkraftwerken für deine hypothetischen ›Städte im Dunkel‹. Selbst wenn der Rest der Welt nicht selber die Atomkraft entdeckt hat, kann diese Art Bauten nicht geheim gehalten werden. Sogar, wenn es keinen anderen Kriegsgrund gibt, wird es also einen Rüstungswettlauf geben. Und er wird viel schlimmer als alles im Großen Krieg sein.«
Unnerbei: »Hm. Ja. Der Erste, der das Dunkel kolonisiert, würde die Welt besitzen.«
»Ja«, sagte Schmid. »Ich bin nicht sicher, ob ich der Krone so weit trauen würde, dass sie in solch einer Lage Eigentum respektiert. Aber ich weiß, dass die Welt nach dem Dunkel versklavt oder tot wäre, wenn eine Gruppe wie die Sinnesgleichen stattdessen das
Weitere Kostenlose Bücher