Eine tödliche Erinnerung (German Edition)
beschäftigte, erfasste mich Ungeduld. Am liebsten hätte ich sofort mit der Umsetzung begonnen. Da das leider nicht möglich war, beschloss ich den Rest des Tages wenigstens in der Bibliothek zu verbringen, um weiter am theoretischen Teil zu arbeiten.
Ich hielt mich gern in den stillen, kühlen Räumen auf und konnte mich dort wunderbar konzentrieren. Doch heute wirkte der Zauber nicht. Die Ruhe brachte meine Gedanken zum tanzen und führte sie immer wieder zu Edeltraut Brückner zurück. Schließlich gab ich auf, ich musste mit jemandem reden. Von der Toilette aus rief ich Johannes an. Ich machte mir wenig Hoffnung, dass er Zeit haben könnte, doch zu meiner Überraschung stimmte er einem Treffen sofort zu. "Eigentlich sollte ich jetzt beim Gericht sein", sagte er, "doch ein wichtiger Zeuge ist nicht erschienen. Ich kann für heute hier Schluss machen und wir treffen uns gleich bei mir. Einverstanden?"
Ich fühlte mich sofort ein wenig erleichtert. Johannes war wirklich ein guter Freund und ein Treffen in seiner Wohnung war mir sehr angenehm. Nur ungern hätte ich das heikle Thema an einem öffentlichen Ort besprochen.
Johannes konnte nur wenige Minuten vor mir in der Wohnung angekommen sein, doch er hatte bereits Tassen und Gläser auf dem Tisch platziert. "Kaffee, Tee, Saft, Wasser, was darf es sein?", fragte er, wie immer der perfekte Gastgeber. Ich nahm nur ein Wasser und er entschied sich ebenfalls dafür. In einen bequemen Sessel versunken bestaunte ich die makellose Sauberkeit des Zimmers, das fast schon steril anmutete. "Putzt du hier eigentlich zweimal täglich oder lässt du es bei einem Mal bewenden?", konnte ich mir nicht verkneifen zu sticheln. Johannes schien die Ironie nicht zu bemerken. "Putzen hat etwas Meditatives, ich kann dabei gut denken", erwiderte er ganz ernsthaft. Warum funktionierte das bei mir nicht genauso, ich war doch schließlich die Psychotherapeutin? Aber natürlich war das im Moment mein geringstes Problem. So begann ich zum ersten Mal zu erzählen, was mir mit Tobias widerfahren war, obwohl es mir nicht leicht fiel. "Johannes, ich möchte dieses Gespräch in deiner Eigenschaft als Anwalt mit dir führen und daher an deine Pflicht zur Verschwiegenheit appellieren", hatte ich eingangs gesagt. Johannes war über soviel Förmlichkeit verwundert gewesen, doch das war nichts gegen seine Verwunderung über meinen Bericht.
"Hat der nicht mehr alle Latten am Zaun? Wie kann er sich in deinen Computer einhacken? Das ist ein unbefugtes Ausspähen von Daten, darauf stehen nach § 202a StGB bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe!"
Ich war mir sicher, dass die Empörung von Johannes durch seine eigene Frustration über die Entwicklung zwischen Tobias und Melissa noch angeheizt wurde und er ihn aus diesem Grunde am liebsten unverzüglich hinter Gitter gebracht hätte. Doch darum ging es mir nun wirklich nicht.
"Ich brauche deinen Rat und deine Hilfe, Johannes. Nur mit dir kann ich darüber reden, weil ich sicher sein kann, dass es vertraulich bleibt."
Er nickte und nahm eine konzentrierte Haltung an, wie er sie vermutlich auch gegenüber seinen Mandanten an den Tag legte. Er wirkte vertrauenerweckend, auch auf mich. Vertrauen war etwas, das ich im Moment dringender als alles andere brauchte.
"Ich hatte vor längerer Zeit eine Patientin", begann ich meinen Bericht, "die nur ein einziges Mal zu einem Beratungsgespräch da war. Durch Zufall habe ich später erfahren, dass sie wie Melissa aus Gröbeneck stammt und immer noch dort lebt."
"Und sie war hier bei dir in der Praxis?"
"Ja, genau. Aber ich hatte deshalb noch nicht unbedingt einen Zusammenhang mit Melissa angenommen. Wie sagt man doch so schön: Zufälle gibt es, die gibt's gar nicht. Ich habe dann auch nie wieder von der Patientin gehört. Bis zu unserer letzten Fotosession bei Melissa. Da habe ich sie auf einem der Fotos erkannt."
Johannes hörte jetzt wie gebannt zu, er war so weit auf seinem Stuhl nach vorn gerutscht, dass ich befürchten musste, er würde gleich vornüber kippen.
"Die Frau war auch in Dahrenried?", vergewisserte er sich atemlos. "Das war dann aber bestimmt kein Zufall mehr."
"Das nehme ich auch nicht an. Aber ich konnte unmöglich darüber reden. Sie war schließlich meine Patientin! Doch Tobias hat meine Überraschung angesichts dieses Fotos bemerkt. Er hat mehrfach nachgefragt und als ihm klar wurde, dass ich nicht reden würde, ist ihm wohl die Idee mit dem Trojaner gekommen."
"Was durch nichts zu
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