Eine tödliche Erinnerung (German Edition)
auch andere Menschen sind. Wenn dir irgend etwas verdächtig erscheinen sollte, dann scheue dich bitte nicht, mich sofort zu informieren."
Auch Ruth gab mir noch so viele mütterlich besorgt klingende Ratschläge mit auf den Weg, dass ich ein schlechtes Gewissen bekam, sie zu hintergehen. Mein Weg zum S-Bahnhof führte mich noch einmal durch die Lindenallee. Das Auto von Tobias stand vor der Villa, das war gut, er war also nicht damit unterwegs. Meine größte Sorge war, dass er mir noch einmal in die Quere kommen könnte. Es versetzte mir inzwischen auch keinen Stich mehr, den Opel jeden Morgen vor Melissas Tür zu sehen. Mit der Sache hatte ich innerlich abgeschlossen.
Um nach Gröbeneck zu gelangen, musste ich zweimal umsteigen, wenigstens waren alle Züge ausnahmsweise einigermaßen pünktlich. Um 14.31 Uhr kam ich auf dem kleinen Bahnhof von Gröbeneck an. Das war eine günstige Zeit, das Heimatstübchen musste seit einer halben Stunde geöffnet sein. Ich fand es sofort, es war in einem der ältesten Fachwerkhäuser des Ortes untergebracht. Als ich durch die Tür trat, musste ich mich bücken, um mir nicht den Kopf zu stoßen. Der Dielenboden im Inneren war so abschüssig, dass man das Gefühl hatte, sich auf dem Deck eines Schiffes zu bewegen. Nach der Helle des Sonnenlichts draußen wirkte der Raum düster, die kleinen Fenster ließen nur wenig Licht herein. Hinter einem Schreibtisch neben dem Fenster saß eine korpulentes ältere Dame. Sie hatte eine Tasse Kaffee, sowie ein Tortenstück von beachtlicher Größe vor sich. Während sie genießerisch den Löffel zum Munde führte, blätterte sie langsam in einer Illustrierten. Bei meinem Eintreten sah sie unwillig auf, unverkennbar fühlte sie sich gestört. Doch darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Ich grüßte sehr freundlich und erkundigte mich zuerst nach dem Eintrittspreis. Sie gab mir keine Antwort, sondern deutete mit dem Löffel auf ein Schild auf ihrem Schreibtisch. Dem konnte ich entnehmen, dass ich 2 Euro zu entrichten hatte. Also legte ich die Münze auf einen Teller und machte mich ohne Umschweife an den Rundgang, damit sich die Dame wieder ungestört ihrer Torte widmen konnte.
Das Heimatstübchen bestand aus zwei kleinen Räumen, deren Verbindungstür entfernt worden war. Eingangs wurde auf einer Tafel die Geschichte des Ortes erläutert. Ich erfuhr, dass Gröbeneck um das Jahr 1100 erstmals urkundlich erwähnt worden war. Die Bevölkerung, die vor allem aus Bauern bestand, wurde im 15. Jahrhundert durch die Pest stark dezimiert. Der dreißigjährige Krieg ließ den Ort verarmen, der eigentliche Aufschwung kam erst im 19. Jahrhundert durch den Abbau von Granit. Die Erzeugnisse der Gröbenecker Steinmetzbetriebe fanden Absatz bis in die Niederlande. Dadurch wuchsen die Einwohnerzahl und der Wohlstand des Ortes.
Der Geschichte der Burg Gröbeneck mit dem Hexenturm war eine gesonderte Tafel gewidmet. Ich überflog sie lediglich mit wachsender Ungeduld, denn eigentlich war ich ja nur wegen der Bilder von Adrian Morgenroth gekommen. In diesem Raum schienen sie sich nicht zu befinden. Ich warf der Form halber noch einen Blick in zwei Vitrinen, in denen archäologische Funde aus der Region gezeigt wurden und begab mich dann in den Nebenraum. Die Bilder sprangen mir sofort ins Auge, sie erinnerten mich lebhaft an die leuchtenden Aquarelle von Melissa. Es waren drei Landschaftsbilder und ein Portrait, das eine alte Bäuerin zeigte. Unter den Bildern war auf einer kleinen Tafel der Name des Künstlers angegeben, ohne zusätzlichen Hinweis darauf, dass er aus dem Ort stammte. Eigentlich hätte sich das doch angeboten.
Aber noch etwas anderes ließ mich stutzen: Die schwungvolle Signatur unter den Gemälden bestand eindeutig aus einem A und einem B. Ich ging in den vorderen Raum zurück, wo die Dame hinter dem Schreibtisch die Torte inzwischen vertilgt hatte und nun ganz in ihre Illustrierte vertieft war. "Entschuldigung", sagte ich, "der Maler der Bilder nebenan hieß doch Adrian Morgenroth?"
"Ja, genauso steht es ja auch auf der Tafel", bemerkte die Dame spitz.
Ich ließ mich durch ihre Unfreundlichkeit nicht abschrecken. "Wieso sind die Bilder dann mit A. B . signiert?"
Sie sah mich an als müsse sie erst überlegen, ob ich einer Antwort würdig sei, entschied sich dann aber dafür. "Morgenroth war der Name seiner Frau, er hat ihn nach der Heirat angenommen. Vorher hieß er anders und das hier sind Bilder aus dieser frühen Zeit."
"Und
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