Eine tödliche Erinnerung (German Edition)
Aufenthaltsort geändert. So ein gehetztes Gebaren würde zum Krankheitsbild passen.
Es gab also eine plausible Erklärung für die Suche der Frau Brückner nach Anne. Aber weshalb interessierte sie sich für Melissa? Es musste auch hier eine Verbindung geben, vermutlich sogar ebenfalls eine verwandtschaftliche ...
Ich schreckte aus meinen Gedanken auf. Offenbar hatte Tobias mich bereits wiederholt etwas gefragt, ohne dass ich es registriert hatte. Jetzt wiederholte er seine Frage eindringlich und katapultierte mich damit in die Gegenwart zurück: "Was weißt du über diese Frau Brückner?", einen Moment lang starrte ich ihn verständnislos an. Woher wusste Tobias, dass ich sie kannte? Im nächsten Moment durchzuckte mich die Erkenntnis siedend heiß: Tobias hatte sich nicht nur im Computer von Frau Brückner umgesehen, sondern auch in meinem eigenen! Wie ein Film lief alles noch einmal vor meinen Augen ab: Er hatte mich wiederholt gefragt, ob ich nicht doch jemanden auf den Fotos erkannt hätte. Weil er mir nicht glaubte, musste er mir mit den Fotos auf dem Stick auch einen Trojaner weitergegeben haben. Arglos hatte ich die Datei überspielt. Er hatte dann in aller Ruhe meinen Computer ausgekundschaftet und die Website der Firma Brückner entdeckt, die sich noch darauf befand. Vermutlich hatte er genau wie ich die Fotos verglichen.
Anscheinend war ich vor Schreck und Wut knallrot geworden, denn Tobias legte beschwichtigend seine Hand auf meinen Arm. "Iris, das ist eine ernste Sache, du musst jetzt sagen, was du weißt", raunte er beschwörend. Wütend schlug ich seine Hand weg. "Sag mal, ist dir überhaupt klar, was du da getan hast?", fauchte ich ihn an. Wenigstens schien es ihm peinlich zu sein, er wirkte verlegen. "Es war vielleicht nicht ganz richtig von mir", räumte er ein, "aber..."
Ich ließ ihn nicht ausreden. "Nicht ganz richtig?", schrie ich aufgebracht. "Ich bin Psychotherapeutin und du schnüffelst mal eben so in meinen Daten rum. Geht`s noch?"
Tobias versuchte erneut, mir die Hand auf den Arm zu legen. "Genau das ist der springende Punkt, Iris", sagte er. "Mir war klar, dass du etwas wusstest, es mir aber freiwillig nicht sagen würdest. Ihr Therapeuten nehmt es mit eurer Schweigepflicht doch ebenso genau wie die Katholiken mit dem Beichtgeheimnis. Aber soweit ich weiß, endet deine Pflicht zur Verschwiegenheit, wenn dadurch eine schwere Straftat verhindert werden kann."
Nun sah ich endgültig rot. "Willst ausgerechnet du mir jetzt die Rechtslage erklären? Der Einzige, der hier eine Straftat begangen hat, bist definitiv du. Sei froh, wenn ich darüber schweigen werde, was ich mir übrigens erst noch überlegen muss. Aber dass ich ansonsten nichts sagen werde, das kann ich dir fest versprechen."
Tobias gab noch nicht auf. "Iris, diese Frau Brückner hat definitiv Dreck am Stecken. Ich war bei ihr und wollte sie zur Rede stellen."
Ich war sprachlos. "Du hast was gemacht?"
"Ich wollte dich da raushalten, Iris, wirklich. Deshalb hab ich versucht sie direkt zu konfrontieren, weil ich dachte, sie wird sich dann verraten. Sie war derart aufgebracht, dass mir sofort klar wurde, die Frau weiß um was es geht. Sie hat etwas zu verbergen."
"Und was hat sie gesagt?", diese Frage konnte ich mir nun doch nicht verkneifen.
"Nichts. Sie hat mich rausgeworfen." Tobias wirkte jetzt leicht zerknirscht.
"Nachahmenswerte Idee von der Frau. Ich möchte, dass du gehst und dich nie wieder bei mir blicken lässt."
"Iris, bitte, lass uns darüber reden!"
"Ich habe schon viel zu lange mit dir geredet. Verschwinde! Und zwar sofort!"
Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und wandte ihm demonstrativ den Rücken zu.
"Falls du es dir noch anders überlegen solltest, ich wohne im Moment bei Melissa. Sie sollte jetzt nicht mehr allein sein. Dein Rechner ist übrigens wieder sauber."
Ich gab keine Antwort und drehte mich nicht um, bis ich die Tür ins Schloss fallen hörte.
47.
Tobias hatte mir einen Brief geschrieben, keine Mail, sondern einen richtigen Brief auf hellblauem Briefpapier.
Darin betonte er eingangs, was für eine besondere Leistung das von ihm sei, sein erster Brief auf Papier seit 15 Jahren! Abgesehen davon, dass ich ihm das nicht so recht glaubte, war ihm wohl klar gewesen, dass ich eine Mail erst gar nicht geöffnet hätte. Der Brief enthielt eine Menge Entschuldigungen und Einsichten. Tobias geißelte sich als rücksichtslos und bedauerte zutiefst, mein Vertrauen missbraucht zu haben. Er betonte
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