Eine tödliche Erinnerung (German Edition)
auch, wie ungeheuer wichtig ich ihm sei. "Aber" setzte er dann fort - und an diesem Punkt begannen die Rechtfertigungen und Ausflüchte. Er ließ nichts aus, es ging um die prekäre Situation von Melissa, die angebliche Unfähigkeit der Polizei und den Zeitdruck, unter dem wir stehen würden. Immerhin erwähnte er auch meine eigene Gefährdung, schließlich hatte jemand das Haus angezündet.
Was pflegte ich meinen liebeskranken Patientinnen regelmäßig mit auf den Weg zu geben? 'Alles, was ein Mann vor dem aber sagt, dürfen Sie getrost vergessen.' Also beförderte ich den Brief in den Papierkorb und beschloss ebenfalls, ihn zu vergessen. Den Brief und den Mann, der ihn geschrieben hatte. Dann stürzte ich mich in meine Arbeit.
Ruth sagte ich nichts von dem Hackerangriff, den Tobias auf mich unternommen hatte. Irgendwie war es mir peinlich. Allerdings erwähnte ich seine Wohngemeinschaft mit Melissa und dass ich seine Präferenzen wohl richtig eingeschätzt hätte. Die Reaktion von Ruth darauf war sehr überrascht. "Schade. Ich hätte ihn als klüger eingeschätzt", sagte sie.
"Ich weiß nicht, ob Klugheit in dieser Beziehung eine Rolle spielt. Aber ich will auch nicht darüber nachdenken. Genauso wenig wie über die unerquickliche Frage, was Melissa wohl hat, was ich nicht habe."
"Das wäre allerdings die falsche Fragestellung. Du müsstest in diesem Falle eher fragen, was sie nicht hat, was du hast. Nämlich Persönlichkeit, Selbstbewusstsein und Ecken und Kanten. Melissa ist eine schöne Hülle, die den Wusch weckt, sie mit den eigenen Idealvorstellungen auszufüllen. In den meisten Männern steckt nun mal ein kleiner Pygmalion, der sich seine Traumfrau selbst erschaffen möchte. Solche Beziehungen enden allerdings sehr oft in einem Fiasko."
Ruths Urteil über Melissa mochte hart klingen, doch es traf den Kern. Melissa war durch ein Trauma in ihrer Kindheit gefangen. Erst wenn sie es überwunden hatte, würde sie zu der Frau werden können, die sie sein wollte. Ob Tobias mit dieser Frau dann glücklich werden würde, war nicht vorhersehbar. Erfüllte mich dieser Gedanke mit Genugtuung? Es würde jedenfalls nichts zwischen uns ändern. "Er hat seine Chance gehabt", sagte ich laut. Um zu unterstreichen, dass ich das Thema endgültig abschließen wollte, breitete ich den Versuchsplan für mein Hypnoseexperiment vor Ruth aus. Interessiert beugte sie sich darüber. "Sieht perfekt aus", meinte sie dann. "Wann willst du anfangen?"
"Nicht vor September. Die meisten meiner Versuchspersonen sind momentan im Urlaub. Ich bin froh, so viele Freiwillige gefunden zu haben."
In der Tat war es mein größtes Problem gewesen, ob sich genügend Teilnehmer für mein Experiment finden lassen würden. Schließlich kannte ich hier noch nicht so viele Leute. Doch dann kam es ganz anders. Der gesamte Freundeskreis von Johannes erklärte sich bereit. Ruth steuerte ebenfalls einige interessierte Bekannte bei. Den ganz großen Erfolg hatte jedoch eine Anfrage von Gernot bei Polizeischülern. Auf einmal hatte ich sogar mehr Versuchspersonen als ursprünglich geplant. Doch das sollte mir nur recht sein, es konnte immer noch jemand abspringen oder sich als nicht für das Experiment geeignet erweisen.
Der Ablaufplan war denkbar einfach. Zuerst würde ich die Teilnehmer einzeln zu einem Vorgespräch einladen. Bei diesem Termin sollten sie alles Notwendige über Hypnose erfahren und auf ihre Eignung für das Experiment überprüft werden. Doch während sie sich noch in der Vorbereitungsphase wähnten, wären sie schon mittendrin. Denn plötzlich würde eine Patientin in das Gespräch hinein platzen, die in Wahrheit eine nach einem festen Drehbuch handelnde Schauspielstudentin war. Sie würde um einen Termin bitten und sich nicht abweisen lassen, bevor sie nicht einige Fragen gestellt und Informationen über sich preisgegeben hätte. Auch ihr Äußeres sollte einige markante Merkmale aufweisen und dabei mehrere Sinne ansprechen. Sie würde ein auffälliges Tattoo am Oberarm tragen, laut mit einer Unmenge silberner Armreifen klimpern und penetrant nach einem Veilchenparfüm duften.
Einige Tage später würden die Teilnehmer dann zum zweiten Termin erscheinen und dabei von mir über diese Frau befragt werden, zuerst in einem normalen Gespräch, danach in Trance. Es sollte überprüft werden, ob die Hypnose zu weiteren Erinnerungen führen würde und wie zuverlässig diese waren. Wie immer, wenn ich mich mit der Planung meines Experimentes
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