Eine tödliche Erinnerung (German Edition)
rechtfertigen ist", warf Johannes mit Schärfe in der Stimme ein.
"Leider habe ich es ihm dann auch noch sehr leicht gemacht, die Frau zu identifizieren. Sie betreibt in Gröbeneck eine Firma und hat auf ihrer Website ein Foto von sich. Ich hatte die Seite zum Vergleich noch einmal aufgerufen. So wusste Tobias nicht nur wer sie ist, er hatte auch gleich alle Kontaktdaten und hat sich Ruck-Zuck auch bei ihr eingehackt."
Johannes gab sich empört über so viel kriminelle Energie, aber das Ergebnis der Aktion interessierte ihn trotzdem brennend, das war unverkennbar.
"Er hat herausgefunden, dass diese Patientin intensiv über Melissa und über noch eine andere Person Informationen gesammelt hat. Diese andere Person ist eine enge Verwandte der Patientin. Sie haben offiziell keinen Kontakt zueinander, vermutlich, weil die Patientin der Anderen in der Vergangenheit Unrecht getan hat. Darin liegt auch der Schlüssel zu ihrem Verhalten. Sie hat sehr viel gearbeitet, immer von dem Ehrgeiz angetrieben, dadurch Anerkennung zu erlangen. Dabei hat sie nahestehende Menschen vernachlässigt und verletzt. Jetzt befindet sie sich in einer Lebenskrise und sie merkt vielleicht, dass sie nach den falschen Werten gestrebt hat. Ich vermute, sie sucht nach Menschen, die sie auf diesem Wege zurückgelassen hat, um sich mit ihnen auszusöhnen."
"Und in welchem Verhältnis steht sie zu Melissa?"
"Ich weiß es nicht, vermute aber eine verwandtschaftliche Beziehung. Unter Umständen ist sie damals gebeten worden, die Waise aufzunehmen und hat das abgelehnt?"
"Das sind nun wirklich sehr viele Vermutungen und nicht alles daran erscheint logisch. Warum hat sie dann keinen Kontakt zu Melissa aufgenommen?"
"Mag sein, dass das nie ihre Absicht war. Sie wollte unter Umständen nur wissen, wie es ihr geht."
"Dann müsste sie über die Mordanschläge sehr erschrocken sein."
"Das denke ich auch. Das wäre ein weiterer Grund, auf Abstand zu bleiben. Für Tobias ist sie allerdings die Mörderin, er hat sich in Unkenntnis der tieferen Zusammenhänge schon wieder eine wunderschöne Verschwörungstheorie zusammengestrickt."
"Völlig ausschließen kann man das natürlich nicht." Johannes wirkte nachdenklich. "Aber auf jeden Fall kann sie eine ungeheuer wichtige Zeugin für uns sein. Schließlich war sie ständig nah an Melissa dran und war sogar an dem betreffenden Tag in Dahrenried. Sie könnte etwas beobachtet haben. Würde sie mit dir reden?"
"Das ist ziemlich fraglich, Tobias hat eine Menge Porzellan zerschlagen. Er ist nämlich umgehend hingefahren und hat die Frau konfrontiert , was immer man sich bei ihm darunter vorstellen muss. Sie soll ziemlich wütend geworden sein."
"Das kann ich mir vorstellen." Johannes nutzte die Chance, sich noch einmal ausführlich über das unmögliche Verhalten von Tobias auszulassen, mit dem der nichts als Schaden anrichten würde. Ich stimmte ihm lebhaft zu, wir brauchten das beide, um unseren Frust loszuwerden. Doch dann überlegten wir, wie es nun weitergehen sollte.
"Du musst mir vor allem helfen, indem du Einfluss auf Tobias nimmst", sagte ich. "Er muss jetzt endlich mal die Füße stillhalten und darf sich nicht weiter einmischen. Sag ihm bitte, dass ich dich über die wichtigsten Zusammenhänge aufgeklärt habe und dass da kein Handlungsbedarf besteht. Jedenfalls nicht von seiner Seite."
Johannes nickte zustimmend. Es war ihm anzumerken, wie sehr ihm die zugewiesene Rolle behagte, vor allem Tobias gegenüber. "Und was wirst du unternehmen?", fragte er.
"Ich werde nach Gröbeneck fahren, weil es da auch noch etwas anderes zu erledigen gibt. Aber ich werde bei dieser Gelegenheit versuchen, Kontakt zu meiner Patientin aufzunehmen. Es kann sein, dass sie eine Erklärung von mir erwartet." Zwar traute ich Tobias nicht zu, dass er mich ihr gegenüber erwähnt hatte, doch sie könnte ihre eigenen Überlegungen angestellt haben. Es war möglich, dass sie mich mit ihm zusammen gesehen hatte. Deshalb wollte möglichem Ärger vorbeugen. Das Angebot von Johannes, mich nach Gröbeneck zu begleiten, lehnte ich ab. Diesmal würde ich allein fahren.
48.
Bereits am Donnerstag hatte ich Ruth mitgeteilt, dass ich das Wochenende in Wernigerode bei meinen Eltern verbringen würde. Freitag früh kam dann Gernot kurz in der Praxis vorbei. "Es ist natürlich nichts dagegen einzuwenden, dass du zu deinen Eltern fährst, Iris", sagte er, "aber sei bitte weiterhin vorsichtig. Halte dich nach Möglichkeit nur an Orten auf, wo
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