Eine Trillion Euro
heute.
Das Hyères von einst … Elodie seufzte wieder. Das Hyères der Touristen, der schattigen Terrassen und gewundenen Gässchen, der Restaurants und des Boule-Spiels, das Hyères der Zikaden, des Pastis und des Nichtstuns, des Völkergemischs und der geschichtsträchtigen Häuser … Heute war aus dem Städtchen ein Flüchtlingsasyl geworden, übervölkert und aggressiv. Eine Stadt, die sich vor dem ständig ansteigenden Meer zurückzog und die Hügel mit ihren Favelas bedeckte. Aus den ehemals bewaldeten Hügeln, wo die Reichen und Schönen gelebt hatten, zurückgezogen in ihre Villen mit Pool, waren Müllhalden geworden, auf denen in wildem Durcheinander windschiefe Hütten sprossen. Hier drängten sich die Menschen, die von der Küste geflohen waren; Menschen, die alles verloren hatten, die weder Besitz noch Arbeit, Familie oder Würde ihr Eigen nannten. Ihnen würde nie jemand etwas erstatten, und sie würden nie rehabilitiert werden. Dort wohnten die ökologischen Flüchtlinge, vor denen die Einwohner von Hyères große Angst hatten. Früher waren sie Nachbarn gewesen, heute konnte man sie kaum mehr als Menschen bezeichnen.
Elodie und Stéphane hatten das Glück, in der Altstadt von Hyères ein Haus zu besitzen. Das Erdgeschoss hatten sie an eine Ökosylanten-Familie vermietet und begnügten sich mit den beiden Zimmern im ersten Stock. Schließlich musste man sich gegenseitig helfen, nicht wahr? Doch obwohl Elodie Anteil nahm und viel Mitleid mit den ausgemergelten Kindern in Lumpen hatte, verhielt sie sich wie alle anderen wohlhabenderen Nachbarn, die noch Häuser besaßen: Jeden Abend verbarrikadierte sie sich, ging nach Einbruch der Nacht nicht mehr aus dem Haus und gab vor, die Schlägereien, verzweifelten Schreie, Plünderungen und Schüsse nicht zu hören. Sie versuchte, so zu leben, als ob nichts geschehen wäre, als ob das Leben noch immer normal verliefe.
Nur, dass das Leben nicht mehr normal war. Aus den Sommern waren trocken glühende Backöfen geworden, die Winter bestanden aus einer Abfolge von Orkanen und Stürmen, und eine mörderische Sonne strahlte todbringend auf die Erde hinunter; wenn sie gerade nicht den Himmel bis zur Weißglut erhitzte, nahmen die Wolken schmutzige Farbtönungen an, und die Luft bekam einen sauren, stechenden Geschmack. Im Radio wurden ununterbrochen Alarmmeldungen und Sicherheitsratschläge gesendet, im Fernsehen sah man nichts als Katastrophen, und man konnte sich auf niemanden mehr verlassen. Schon gar nicht auf Beihilfen vom Staat, die ebenso nebulös wie unerreichbar waren. Der wunderbare Lebensabend in ihrem kühlen Häuschen, auf den sich Stéphane und Elodie gefreut hatten, hatte sich inzwischen zu einem wahren Albtraum entwickelt. Praktisch ohne Einkünfte und vom Staat vergessen, mussten sie sich irgendwie über Wasser halten. Stéphane hatte ein altes Boot repariert und fuhr zum Fischen hinaus, Elodie verkaufte seinen Fang, sofern er essbar war, oder tauschte ihn ein. Manche Fische waren verkümmert, manchmal phosphoreszierten sie oder stanken ganz einfach nur. Oft aßen sie sie trotzdem und nahmen das Risiko in Kauf, krank zu werden.
Stéphane zog die Angel aus dem Wasser und brach in ungläubiges Lachen aus. Er hatte einen großen, schmalen, goldfarbenen Fisch mit starken Kiefern gefangen, der sich heftig gegen den Haken zur Wehr setzte. Tatsächlich, es war eine Dorade! So viel Glück konnte er kaum fassen. Heute scheint mein Glückstag zu sein, dachte er, während er sich mit der Dorade einen Zweikampf lieferte, um sie an Bord zu holen. Er pflückte sie vom Haken, wobei er sorgfältig den messerscharfen Zähnen auswich, und warf sie in den Plastikbehälter, wo sie zwischen ihren bereits unbeweglichen Artgenossen wild hin und her zuckte. Er legte einen in Meerwasser getauchten Jutelappen über den Behälter, um die Fische frisch zu halten, riss eine Bierdose auf und widmete sich unter den gierigen Schreien der über ihm segelnden Möwen weiter der Beobachtung seiner Schleppleinen.
Im Augenblick war alles ruhig. Sein Blick schweifte zur Küste, wo die Pinien ins Meer hinabglitten. Der lange Strand war auf eine schmale Sandzunge zusammengeschrumpft, auf der verlassene Hütten langsam verfielen. Er hob den Feldstecher an die Augen und beobachtete die Umgebung der Ruinen. Falls die Anwohner ihn entdeckten, konnte es durchaus sein, dass sie auf ihn schossen. Die Leute dort drüben standen nicht unbedingt im Ruf, besonders gastfreundlich zu sein, und
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