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Eine Trillion Euro

Titel: Eine Trillion Euro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eschbach Andreas
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sehen. Gerne wäre sie nicht so sicher gewesen, aber ihr Erinnerungsvermögen, das sie trotz ihrer zweiundsiebzig Jahre keineswegs im Stich ließ, behauptete das Gegenteil.
    Stéphane wusste nichts von dem Sturm, und Elodie musste aufhören, an ein Wunder zu glauben. Und so wie sie jetzt am Brückengeländer festgeklammert den finsteren Himmel beobachtete, würde auch er es tun, er würde sehen, wie brüllend wirbelnde Luftschläuche Meerwasser in sich aufsogen; wie sie würde er sich an die Bordwände seines Bootes krallen, das von rasenden Wellen wie eine Nussschale hin und her geworfen wurde, entsetzt würde er vor den gigantischen Blitzen zurückschrecken, die die Wolkentürme zerrissen; wie sie würde er jetzt nur noch mit von elektrischen Entladungen gesträubtem Haar auf den Tod warten, der sich vom Horizont heranwälzte. Er würde mit Tränen in den Augen und in entsetzter Angst das Ende erwarten, das schon so lange vorhersehbar war.
    An den Gaszug seiner stotternden Yamaha geklammert, beobachtete Stéphane voller Furcht die schnell herannahende Orkannacht. Mauern aus Wolken erstickten den Himmel. Über dem Meer tanzten drei Tornados wie Säulen aus kochendem, schwarzem Wasser. Jetzt verstand er, warum niemand außer ihm zum Fischen hinausgefahren war. Die Menschen auf den Inseln wussten Bescheid und hatten sich gemäß den Sicherheitsvorschriften in ihren Wohnungen verbarrikadiert. Nur er, Dummkopf, der er war, hatte sich ohne Radio vertrauensselig auf das Meer hinausgewagt.
    Mit stampfendem Motor näherte er sich einer Bucht gleich hinter dem ehemaligen Landungssteg der Insel, der längst im Meer ertrunken war. Hier gab es Untiefen und Klippen direkt unter der Wasseroberfläche, aber Stéphane schaffte es. Kurzatmig und verkrampft vor Anstrengung zog er sein Boot auf den Sand und vertäute es sicher an einem Felsen. Der Lärm des tobenden Meeres lag im Wettstreit mit dem Brüllen des von Blitzen zerfetzten Himmels. Stéphane krümmte den Rücken und kletterte unter peitschenden Windböen mühsam zu dem schmalen Weg empor, der am Strand entlanglief. Der Weg mündete in eine Straße, wo er sicher war, feste Behausungen vorzufinden. Immer wieder sah er sich um; die beiden näheren Tornados tanzten wie wütende Dämonen in wahnwitziger Geschwindigkeit hinter ihm her. Es war durchaus möglich, dass sie die Insel verschonten, sie konnten aber auch in einem einzigen Augenblick alles verwüsten.
    Außer Atem, mit verzerrtem Gesicht und vom Wind gebeugt, erreichte er das Sträßchen. Plötzlich entdeckte er in der tobenden Finsternis eine kaum auszumachende Gestalt.
    »Hallo! Bitte …« Stéphane schrie aus Leibeskräften.
    Die Gestalt trat einen Schritt nach vorn. Ein Blitz zerriss das Halbdunkel, und Stéphane erblickte eine knallblau-apfelgrüne Strickjacke. Eine Jacke, die er unter tausenden erkennen würde.
    »Elodie?«
    »Stéphane«, flüsterte sie, »es ist vorbei …«
    »Was machst du hier? Wie bist du auf die Insel gekommen?«
    Ein heftiger Windstoß riss ihn von den Beinen und presste ihn an den Boden. Als er sich schließlich aufrappeln konnte, war es noch finsterer geworden. Blätter und Staub wirbelten durch die Luft. Elodie war verschwunden.
    Er rief nach ihr, doch ihr Name wurde vom Sturm fortgerissen. Halb erstickt von Sand und Staub schwankte er im Wind. Ein Pinienzweig peitschte ihn mit Nadeln. Zu seiner Rechten entdeckte er eine viereckige, massive Form, die sich an den Hügel drängte. Ein Haus. Bestimmt hatte Elodie sich dort in Sicherheit gebracht.
    Stéphane stieß das Hoftor auf und kämpfte sich durch den mit Trümmern übersäten Weg. Über ihm zerriss der Himmel, und die Wolkenberge stürzten ein. Das Haus mit seinem Betondach und den hermetisch verschlossenen Fensterläden aus Eisen erschien ihm wie ein uneinnehmbarer Bunker. Verzweifelt trommelte er an die mit einem stählernen X verstärkte Tür und schrie sich heiser. Heftige Sturmböen pressten ihn gegen die Stahlverstrebung. Die donnernden Vorboten des Tornados streiften ihn mit eisigem Hauch.
    Endlich öffnete sich die Tür einen Spaltbreit, und jemand zog ihn ins Haus. Stéphane blickte in eine gleißende Taschenlampe und eine Gewehrmündung. Instinktiv hob er die Hände.
    »Keine Bewegung«, bellte eine tiefe, strenge Frauenstimme. »Bleiben Sie, wo Sie sind.«
    Irgendwo im Haus bewegte sich etwas, und die Frau ließ den Strahl der Taschenlampe durch das Zimmer gleiten. Er fiel auf zwei Kinder, die sich unter dem Sturz einer

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