Eine Trillion Euro
Finnland führt.
Die finnische Sprache stellt einen kleinen Markt dar; finnische Schriftsteller, die allein vom Schreiben leben können, gibt es praktisch nicht. Der anerkannt beste finnische Science-Fiction-Autor heißt Pasi Jääskeläinen, ist 37 Jahre alt und lebt in einem kleinen Haus mitten in den Wäldern, zwanzig Kilometer von der nächsten Stadt Jyväskylä entfernt, wo er als Finnischlehrer am Gymnasium arbeitet. Seinen Ruf verdankt er ganzen zehn Kurzgeschichten, die über die Jahre in finnischen SF-Magazinen wie Portti oder Tähtivaeltaja veröffentlicht wurden und von denen nicht weniger als vier jeweils den ersten Preis abräumten im jährlichen Kurzgeschichtenwettbewerb der Zeitschrift Portti, dem wichtigsten Literaturwettbewerb der finnischen Science-Fiction, nämlich in den Jahren 1995, 1996, 1997 und 1999. In den Jahren 1998 bis 2000 gewann Jääskeläinen damit außerdem dreimal in Folge den Atorox-Preis für die beste finnische Fantasy- oder Science-Fiction-Kurzgeschichte. Im Jahr 2000 erschienen die acht bislang veröffentlichten Kurzgeschichten, ergänzt um eine bis dahin unveröffentlichte Story, schließlich als Buch mit dem Titel Missä junat kääntyvät (›Wo die Züge wenden‹) – die bislang erste und einzige Buchveröffentlichung Jääskeläinens.
Das Buch erhielt noch einmal begeisterte Kritiken. Pasi Jääskeläinens Stil und Sprache wurden mit denen von Gabriel Garcia Márquez verglichen. Ein Kritiker schrieb: »Wenn diese Kurzgeschichten Musik wären, ich würde im Regen stepptanzen wie Gene Kelly.« Die größte Tageszeitung Nordfinnlands, Kaleva, feierte das Buch als ›Ereignis‹. Es gewann schließlich den Tähtivaeltaja-Preis als bestes in diesem Jahr in Finnland publiziertes Science-Fiction-Buch: Pasi Jääskeläinen ist damit der erste und einzige finnische Science-Fiction-Schriftsteller, dem es gelungen ist, diesen Preis zu erringen – bis dahin war dieser ausschließlich an Übersetzungen aus anderen Sprachen gegangen.
Der Erfolg im Ausland hält sich, zumindest bis jetzt, noch in Grenzen. Es gibt eine Übersetzung seiner Kurzgeschichtensammlung ins Estnische, die 2002 unter dem Titel Taevast Kuhkunud Loomaaed im Verlag Scarabeus erschienen ist; die Titelgeschichte wurde ferner ins Kurdische übersetzt. Dennoch – und obwohl ihm sein Brotberuf wenig Zeit lässt – arbeitet Pasi Jääskeläinen seit einigen Jahren unverdrossen an seinem ersten Roman.
Einiges von all diesen Lebensumständen scheint sich mir in der Geschichte zu spiegeln, die nun kommt.
Die Geschichte des Mädchens, das am Fenster steht – und das doch nicht am Fenster steht …
Spukhaus, Raketenfabrikstraße 1
von Pasi Jääskeläinen
Beim Anblick des Kindes dachte man sofort an die rührselige Kopie des ›kleinen Kranken‹ von einem hungerleidenden Maler. Das Mädchen stand wie gewöhnlich an ihrem bevorzugten Platz in der Fensterecke zur Straße, das ovale Gesicht an die Scheibe gedrückt.
In den schlaffen Lumpen wirkte sie farblos, mager und linkisch; ein Besucher hatte sich zu der Äußerung verstiegen, sie sehe aus wie eine lustlos zusammengebastelte Vogelscheuche, die nicht einmal einem nervenschwachen Jungvogel Angst machen könne. Ihr kirschrotes Kleid war einmal sehr hübsch gewesen, mit der Zeit hatte es aber Farbe und Fasson verloren und sah nun mehr wie ein dunkelgraues Bündel staubiger Spinnweben aus. Und das lag bestimmt nicht daran, dass es etwa zu wenig oder nicht genau nach den Vorschriften gewaschen worden war!
Auf der anderen Seite der Fensterscheibe lag ein klirrend kalter Wintermittag, den die schwache Märzsonne vergeblich auf Frühlingstemperaturen zu erwärmen versuchte. Doch die dunklen Rehaugen des Mädchens spiegelten eine vollkommen andere Wirklichkeit – das Mädchen war eigentlich nicht anwesend, auch wenn sie physisch an diesem Fleck stand.
All das entsetzte Frau Jansson jeden Tag mehr. Sie gab sich außerordentliche Mühe, ihre arme Nichte zu lieben, denn sie wusste, dass kranke kleine Mädchen besonders viel Liebe und verständnisvolle Fürsorge brauchten. Doch zu ihrem Kummer wurde sie die schleichende Angst nicht los, die sie in der Gegenwart des Mädchens häufig befiel. In ihrer Nähe verdüsterte sich ein strahlender Tag zu nächtlich dunklen, hungrigen Stunden voll sehnsüchtigem Erwarten. Hätte sie es aber gewagt, sich nahe zu dem Mädchen hinunterzubücken und mit angehaltenem Atem zu lauschen, hätte sie seine dumpfen Herzschläge
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