Eine Trillion Euro
soll, ein kleines, aber entscheidendes Detail in einem perfiden Ränkespiel. Auch die folgende Erzählung greift das Thema Identität auf, aber auf tiefergehende Weise. Denn was ist es denn eigentlich, das uns unsere Identität verleiht? Nichts anderes als unsere Erinnerungen. Verlieren wir sie, hören wir auf, die zu sein, die wir sind.
Diese Einsicht verarbeitet Jean-Claude Dunyach in seiner Kurzgeschichte auf unnachahmliche Weise.
Geboren 1957, hat Jean-Claude Dunyach einen Ph.D. in Angewandter Mathematik und arbeitet als Spezialist für Hochleistungscomputer für Airbus France in Toulouse, wo er auch lebt. Science-Fiction schreibt er seit den frühen Achtzigern. Inzwischen kann er auf sieben veröffentlichte Romane zurückblicken, auf sechs Sammelbände eigener Kurzgeschichten sowie auf zahlreiche Preise: den französischen Science-Fiction-Preis 1983, den Rosny Aîné Preis 1992 in gleich zwei Kategorien, den Grand Prix de l’Imaginaire und den Prix Ozone 1997. Seine Kurzgeschichte Déchiffrer la trame (2001 auch auf Deutsch unter dem Titel ›Die Teppichleser‹ im Magazin ALIEN CONTACT erschienen) räumte 1998 besonders gründlich ab: den Grand Prix de l’Imaginaire, den Prix Rosny, und die Leser des bedeutenden englischen Magazins INTERZONE wählten sie zur ›besten Story des Jahres‹.
Der vielfach beklagten Haltung des englischen Sprachraums, nichtenglische Schriftsteller weitgehend zu ignorieren, setzt Jean- Claude Dunyach nämlich seine ganz persönliche Strategie entgegen: Da sein Beruf permanente internationale Kontakte mit sich bringt und so hervorragende Englischkenntnisse gewissermaßen erzwungen hat, ist er imstande, seine Kurzgeschichten in Eigenarbeit zu übersetzen und sie – nach Gegenprüfung durch englische Muttersprachler – internationalen SF-Magazinen anzubieten. Und er hat Erfolg damit. Interzone hat in den letzten Jahren schon fünf seiner Storys veröffentlicht, zwei davon wurden in den amerikanischen Year’s Best-Bänden nachgedruckt, nämlich 1998 und 2002. In Full Spectrum erschienen bislang zwei seiner Storys, zwei weitere Storys in dem australischen Magazin Altair und ebenfalls zwei in dem kanadischen Magazin ON SPEC.
Jean-Claude Dunyach gilt in der französischen Science-Fiction als Meister der Kurzgeschichte, auch wenn er selber behauptet, er schreibe Kurzgeschichten hauptsächlich deswegen, weil ihm sein anspruchsvoller Brotberuf wenig Zeit zum Schreiben lässt. Doch es war bestimmt nicht nur dieser Grund, der ihn veranlasst hat, seinen bislang letzten Roman Étoiles mourantes (›Sterbende Sterne‹) gemeinsam mit Ayerdahl zu schreiben, einem anderen bekannten französischen SF-Autor. Die beiden gewannen damit 1999 den Grand Prix de la Tour Eiffel und den Prix Ozone, und inzwischen ist der Roman (unter dem Titel ›Stelle Morenti‹) auch in Italien erschienen.
Zeitmangel? Jean-Claude Dunyach schreibt nebenbei außerdem Songtexte für verschiedene französische Sänger. Und ließ sich von dieser Tätigkeit wiederum zu seinem Roman Roll Over, Amundsen inspirieren, die Geschichte eines mittelmäßigen Rocksängers, der zusammen mit einem Orchester von Zombies für eine dubiose Tournee durch die Antarktis verpflichtet wird … Fest steht: Jean-Claude Dunyach mangelt es nicht an originellen Ideen, und er führt sie mit beträchtlicher Sprachgewalt meisterhaft aus.
So auch in der folgenden fantastischen, bitter-süßen Liebesgeschichte, die die Frage stellt, wie man jemanden lieben soll, der jeden Morgen vergisst, was war und wer man ist …
In den Gärten der Medici
von Jean-Claude Dunyach
Drei Jahre später trafen sie sich in den Gärten der Medici wieder. Er ging mit kleinen, eiligen Schritten. Sein regelmäßiger Gedankenfluss rollte eine geradlinige Allee aus Sand und weißem Kies vor ihm aus. Sie saß auf einer Steinbank, ein Buch mit abgegriffenen Seiten in Händen. Über ihrem Kopf wiegte sich eine Pinie im ruhigen Rhythmus ihres Atems.
Sie hätten niemals die Gelegenheit haben dürfen, sich zu begegnen. Um ihre jeweilige Privatsphäre zu schützen hätte bereits eine leichte Krümmung der Allee ausgereicht, oder eine undurchdringliche Hecke hätte sich rings um die Bank erheben können, um die sitzende Frau den Blicken anderer zu entziehen. Aber um diese frühe Morgenstunde waren die Gärten menschenleer, und der verrückte Architekt, der über die Güter der Medici herrschte, hatte die meisten der Mechanismen noch nicht aktiviert. Weder die
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