Eine Trillion Euro
Holomodem bei mir zu Hause benutzen wollte, um sich ins Internet einzustöpseln. Ich wusste, dass sie sich nach der letzten Art von Rausch sehnte, nach dem tödlichen Trip, nach dem außergewöhnlichen und unwiederholbaren Augenblick, den kein einfaches Hypercomputer-Milieu ihr verschaffen konnte.
Ich wusste, dass ihre Stunden gezählt waren.
Ich lächelte.
»Gehen wir?«, fragte sie.
Ich sagte nichts. Ein Bio-Klon schleifte den leblosen Körper des Typen aus der Toilette hinter sich her. Wir traten auf die Straße hinaus.
Draußen auf dem Omonia-Platz wälzten sich unermüdlich Menschenmassen, diskutierten, aßen, schissen, schliefen und gafften. Die Feier der Neuheiden war inzwischen so richtig in Gang gekommen. Gerade hatte sich einer von ihnen selbst angezündet, und der Geruch von verbranntem Fleisch hing in der Luft.
Wir entfernten uns zu Fuß. Auf dem dunklen Boulevard waren nur noch sehr wenig Leute unterwegs, und die Händler hatten ihre Stände schon längst abgebaut. An einer Straßenecke saß ein Betrunkener in einem See von Erbrochenem und grölte. Eine Alte mit Holzbein wühlte in einem Abfallhaufen, während eine Gruppe Albaner einen jungen Mann bumste, der auf alle viere gefallen war und ihnen zurief, sie sollten sich beeilen. Nicht weit davon entfernt stand ein räudiger Hund und sah zu.
»Hast du’s dir auch gut überlegt?«, fragte ich sie, während ich mir noch eine Golden Joint anzündete. Ich wusste, dass dies eine blöde Frage war.
Sie sah mich direkt an. In ihren mehrfarbigen Augen sah ich die Hingabe, die Sehnsucht des Menschen, der sein Leben für den letzten Trip hingeben will, des Menschen, der die Andere Wirklichkeit kennen gelernt hat. Des Menschen, der im Land der Lotophagen gewesen ist.
»Alle, die im Land der Verzweiflung waren, erleiden Gedächtnisschwund«, sagte sie. Ich verstand nicht, ob sie sich selbst oder mich meinte. Ich erfuhr es nie.
Am Eingang des Wohnblocks lag ein verdreckter Rastafari im Tiefschlaf, der wer weiß wie viele Bonks geschluckt hatte. Ein erbärmlicher Alter, der eine Offiziersjacke und die Rangabzeichen eines Luftmarschalls trug, durchwühlte seine Taschen. Als er uns sah, wich er zurück und fing an, in einer unbekannten Sprache zu fluchen. Er hatte nur ein Auge, und aus seinem rechten Ohr hingen Kabel.
Wir gingen die verstaubte Treppe hinauf. Der Aufzug funktionierte schon seit fünfzehn Jahren nicht mehr. Im Treppenhaus roch es nach Pisse und verfaultem Müll. Eine Katze sprang aus einem Loch in der Wand und schoss an uns vorbei.
»Wie heißt du?«, fragte ich die Todgeweihte.
»Was spielt das schon für eine Rolle?«
»Ich werde der moralische Verursacher deines Selbstmords sein. Sagst du mir nicht wenigstens, wie du heißt?«
Wir gingen noch ein Stockwerk höher, bevor sie antwortete.
»Giulia«, sagte sie schließlich.
»Ich heiße Sakis«, sagte ich, obwohl mir klar war, dass mein Name das Letzte war, was sie in diesem Moment interessierte. »Von Athanassios abgeleitet. Also ›der Unsterbliche‹.« Ich lächelte.
Wir waren vor meiner Wohnungstür angekommen. Sie sah mich ironisch an.
»Glaubst du denn, du wirst ewig leben?«, fragte sie.
Wieder lächelte ich. »Wer weiß? Heutzutage vollbringt die Technologie Wunder.«
Sie schnitt eine säuerliche Grimasse. »Natürlich. Sie bringt Metahacker, Cybernetze, Klone und mutierte Viren hervor.«
Ich sagte nichts. Meine Hand gab ein mechanisches Geräusch von sich, als ich die Türklinke berührte.
»Sie stellt auch künstliche Gliedmaßen her«, sagte ich.
Zum ersten Mal zeigte sie ein gewisses Interesse.
»Wo hast du denn dieses künstliche Teil her?«
»Die Prothese-Spezialisten von Osaka haben gute Arbeit geleistet, als ich während einer Reportage über die Tragödie des Nerva Express meine Hand verlor.«
»Also vor zehn Jahren.«
»Zwölf. Damals gehörte zum Journalistenhandwerk noch die Vor-Ort-Reportage. Ich hatte Glück. Andere haben lebenswichtigere Gliedmaßen verloren. Mein Alter – Gott hab ihn selig – hatte ziemlich viel Geld auf der hohen Kante, Euro. Damit hat er die besten Prothese-Spezialisten bezahlt, damit sie mir das Loch stopfen.«
Wir betraten die Wohnung. Wenn der Wandfernseher ausgeschaltet war, wirkte sie merkwürdig still und entrückt.
»Ein Freund von mir hat letztes Jahr eine Reise mit dem Nerva Express gemacht«, sagte Giulia beiläufig, während sie ihre Haare in Ordnung brachte. »Eine Mondumrundung mit dem Flugzeug, eine Woche im
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