Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine unbegabte Frau

Eine unbegabte Frau

Titel: Eine unbegabte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Burgess
Vom Netzwerk:
Verstand verloren, sich mit all den Kindern zu behängen! Die Götter lassen die Weiber für eine Handvoll Kinder sorgen, aber nicht für eine Armee!«
    Solche Argumente hatte Gladys in China schon oft zu hören bekommen. Sie machten ihr gar nichts aus.
    »Wie weit ist es zum Fluß?«
    »Drei Meilen. Folgt dem Weg zur Fähre, aber ein Boot findet ihr dort nicht. Die Japaner kommen, da läßt niemand sein Boot am Ufer liegen. Geh zurück in die Berge, Frau. Da ist die einzige sichere Zuflucht.«
    »Wir gehen nach Sian«, antwortete Gladys einfach. Sie blies auf ihrer Pfeife, und alle Kinder liefen zu ihr. Tscheia war jetzt an der Reihe, getragen zu werden, also lud sie ihn sich auf den Rücken. »Wenn wir an den Fluß kommen, wollen wir gleich baden und unsere Kleider waschen«, sagte sie. »Und dann suchen wir uns ein Boot und fahren auf die andere Seite, wo wir sicher sind. Lebt wohl, alter Mann, und alles Gute!«
    Er drehte nicht einmal mehr den Kopf nach ihnen um, als sie gingen, er ließ ihn vorwärts auf die Brust sinken und war eingeschlafen, ehe sie noch um die Straßenecke verschwunden waren.
    Die lange, müde, hungrige Kinderschlange trottete den staubigen Weg zum Fluß hinunter. Das Ufer war mit Schilf bestanden, aber dazwischen gab es kleine sandige Buchten, wo die Kinder plätschern und über flachem Grund herumpaddeln konnten. Das letzte Stück rannten alle, aufgeregt und mit viel Geschrei. Der Fluß war über einen Kilometer breit, in der Mitte reißend und tief. Aber Boote — Boote waren nirgends zu sehen.
    Sualan fragte ruhig: »Wo sind die Boote, Ai-weh-deh?«
    »Ab und zu kommen bestimmt welche herüber«, antwortete sie. »Heute ist es vielleicht schon zu spät. Wir wollen die Nacht hier am Ufer verbringen, dann sind wir morgen früh gleich da, um ins Boot zu steigen.«
    An einer etwas vertieften Stelle des Ufers kuschelten sie sich alle zusammen, um zu schlafen. Ein gelber Mond erhob sich über dem Fluß und ließ einen großen Silberfächer auf dem Wasser erstrahlen. Es war sehr schön, aber Gladys fehlte heute der Sinn für Schönheit. Im Schilf raschelte gelegentlich ein Vogel, manchmal kräuselte ein Fisch mit seinem Maul das Wasser oder sprang hoch durch die Luft, und sein Aufplatschen brachte die ganze silberne Wasseroberfläche in Bewegung. Ja, es war schön und friedlich, aber Gladys war von Angst erfüllt. Wo waren die Boote? Wie konnte man sie erreichen? Hatte der alte Mann recht gehabt? War wirklich alles über den Fluß geflohen, um den Japanern zu entgehen? Saß sie mit den Ihren nun in der Falle, vor sich das breite Wasserband, das sie nicht überschreiten konnten? Schließlich fiel sie in einen tiefen, aber von quälenden Bildern durchzuckten Schlaf; sie träumte, daß Horden von kleinen gelben Männern in runden Stahlhelmen, mit einer riesigen Fahne, auf der in Rot und Weiß das Zeichen der aufgehenden Sonne leuchtete, immer näher, immer näher an sie heranmarschierten.
    Als sie am Morgen aufwachte, spielten die Kinder schon am Fluß. Die jüngsten schrien sofort: »Ai-weh-deh, wir haben Hunger! Wann bekommen wir denn etwas zu essen, Ai-weh-deh?«
    »Bald«, rief sie, »bald!«
    Sie holte die älteren Jungen zusammen. »Wir müssen unbedingt etwas zu essen bekommen. In Yuan Chu werden sie doch sicher ein paar Reste zurückgelassen haben. Ihr müßt einmal alle Häuser durchsuchen. Seht überall gründlich nach! Wir können nicht länger hungern.« Der größte Teil ihrer Schar spielte noch immer glücklich in den sandigen Buchten. Die Jungen zogen in das Dorf Yuan Chu, um etwas zu essen zu suchen. Gladys saß am Ufer und konnte nichts tun als zusehen, wie die Sonne am Himmel höher stieg. Sie blendete nun so stark über dem Wasser, daß sie die Augen schließen mußte. Sie fühlte sich elend und krank. Die Kinder staunten noch immer über den riesigen Strom, sie unternahmen Forschungsreisen im Schilf und gruben Löcher im Ufersand. Aber die Neugier würde ihre Mägen nicht lange mehr zum Schweigen bringen. Wenn doch nur ein Boot käme, dachte sie. Wenn nur ein Boot käme!
    Drei Stunden später kehrten die Jungen triumphierend zurück. Sie hatten die meisten Häuser von Yuan Chu durchstöbert, und jeder brachte einen kleinen Beitrag — ein paar Pfund muffige Hirse auf dem Grund eines faulenden Korbes, einige staubig aussehende flache, harte Teigklumpen, die sie unter großem Hallo irgendwo erbeutet hatten, und anderes mehr. Das alles wurde im großen Topf zusammen gekocht, das

Weitere Kostenlose Bücher