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Eine unbegabte Frau

Eine unbegabte Frau

Titel: Eine unbegabte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Burgess
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vor, eine Weile zu ruhen, ehe sie ihre Predigt hielt. Gut, sie würde sich ein wenig hinlegen, es kam wohl von der Hitze, daß ihr so seltsam zumute war. Das werde sicher bald vorübergehen, redeten ihr die anderen zu, während sie sie zu einem kleinen, abseits gelegenen Zimmer führten; die letzten Wochen waren sehr anstrengend gewesen, natürlich war sie noch müde. Sie sollte nur richtig ausruhen, in ein oder zwei Stunden sei immer noch Zeit für die Predigt.
    Sie streckte sich leise stöhnend auf dem harten Bett aus, ihre Bibel neben sich. Ich werde aus dem Johannisevangelium predigen, dachte sie. Also aus dem Johannisevangelium — was nehme ich da für ein Thema?
    Die Geschichte der Frau von Samaria:

    »Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten. Wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird ewiglich nicht dürsten; sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm ein Brunnen des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.«

    Der Gedanke riß ab — vor ihren Augen bewegte sich eine züngelnde Lohe aus grellen Farben —: Rot, Lila, Gelb! Und wie entsetzlich heiß es war! Sie wollte sich an den schmerzenden Kopf greifen — aber die Hand ließ sich nicht heben. Weiter... das Evangelium Johannis...
    »Ihr wisset nicht, was ihr anbetet; wir aber wissen, was wir anbeten.«
    Eine rostige Trockenheit quälte sie in der Kehle. Sicher kam gleich jemand von der Familie Wei, um ihr Wasser zu bringen — das Evangelium —
    »Am Anfang war das Wort, und das Wort war hei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht begriffen.«
    Die unheimlichen Lichtgarben verblichen vor ihren Augen, eine Sekunde lang wurde ihr klar und wohl zumut — dann fiel sie, fiel in schwarze Dunkelheit. Als die anderen Frauen sie holen wollten, lag Gladys in wilden Fieberphantasien.

    Wahrscheinlich hatten die beiden chinesischen Bauern auf Veranlassung der Familie Wei die Kranke in ihren Ochsenkarren gelegt und nach Hsing P’ing mitgenommen, um sie bei der Skandinavisch-Amerikanischen Mission abzuliefern. Nach den Bombenangriffen auf Sian bat der Oberarzt (der jetzt seine Praxis in Croydon in Surrey ausübt) einen Freund, die Fremde in seinem Wagen mit hinauszunehmen zu seinem Privathaus auf dem Lande. Ganz ohne Zweifel verdankt sie diesem Arzt ihr Leben, ihm und dem Pflegepersonal des Englischen Baptistenkrankenhauses in Sian.
    Das Befinden der kleinen Frau besserte sich zwar langsam; da aber die Bombenangriffe sich wiederholten, transportierte man sie zur Mission nach Hsing P’ing zurück. Sie war noch immer schwer krank, aber ein Ehepaar, Herr und Frau Fisher von der China-Inland-Mission am Fuß des heiligen Berges T’ai Pei, nahmen sich ihrer an und pflegten sie, bis ihr Gesundheitszustand einigermaßen befriedigend war. Doch die letzten schweren Jahre hatten Spuren hinterlassen, die nicht so schnell zu verwischen waren. Häufige Ohnmächten und vorübergehende geistige Störungen blieben.
    Gladys wollte nun aber auf keinen Fall länger von fremder Wohltätigkeit leben. Sie verließ die freundlichen Fishers und ging nach Sian zurück, um sich ihren Lebensunterhalt dort selbst zu verdienen und für ihre fünf Adoptivkinder zu sorgen. Endlich wohnten sie alle wieder zusammen: ihre Fünf hatten Fufeng verlassen und besuchten in Sian die Schule. Sie waren froh, bei ihr sein zu dürfen, die ihre Hilfe jetzt dringend nötig hatte; häufig vermißten sie ihre »Mutter« beim Nachhausekommen und machten sich auf die Suche, bis sie sie irgendwo in der Stadt auf dem Pflaster sitzend fanden, unfähig anzugeben, wer sie war und wo sie wohnte. Die Kinder nahmen sie dann sanft beim Arm und führten sie nach Hause. Erst im Lauf der Monate wurden diese Anfälle seltener.
    In Sian fand sie bald Freunde und konnte etwas Geld verdienen. Auch eine Überweisung von ihren Eltern gelangte trotz der Kriegswirren in ihre Hände. Sie arbeitete für die Bewegung »Neues Leben«, außerdem gab sie einigen Polizisten und Yamen-Beamten englischen Unterricht. Als zwei christliche Männer aus Schansi sich in der Stadt niederließen, richtete sie mit ihnen in einer unbenutzten Fabrik eine Kirche für Flüchtlinge ein, so daß diesen Menschen aus dem Norden das Christentum in

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