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Eine unbegabte Frau

Eine unbegabte Frau

Titel: Eine unbegabte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Burgess
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Die freundliche Anrede erstarb ihr auf den Lippen.
    »Frau, du hast kein Recht, hier auf der Straße herumzusitzen, anstatt dein Kind zu versorgen! Sieh nur, wie elend es dem armen Ding geht!« wandte sie sich streng an die Fremde.
    Die schwarzen Augen der Frau blitzten frech zu ihr hinauf. »Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten«, gab sie zurück.
    »Es ist meine eigene Angelegenheit«, erwiderte Gladys böse und dachte an ihr Amt als Fußinspektorin. »Wenn du es noch länger in dieser stechenden Sonne herumstehen läßt, wird es sterben!«
    »Was hat das mit dir zu tun, ob es stirbt oder nicht? Wenn es tot ist, bekomme ich andere, soviel ich will.«
    Gladys blickte aufmerksam zu ihr hinab. Sie erriet, daß die Frau nicht die Mutter des Kindes war. Es fiel ihr ein, daß sie einmal von einem solchen Gewerbe gehört hatte: Kinderhändler? Das war es: Leute, die Kinder kauften und verkauften. In den Schansi-Bergen hielt man sie für Teufel, sprach nur im Flüsterton von ihnen. Die nächsten Worte der Frau bestärkten sie in ihrer Vermutung. Sie sagte höhnisch grinsend: »Willst du es haben? Es kostet nur zwei Dollar.«
    Gladys war sich sogleich Har, daß dieser Preis, verglichen mit den bei diesem Gewerbe üblichen Summen, als niedrig zu bezeichnen war. Ein hübsches Mädchen, das zur Braut taugte, kostete mindestens neunzig Dollar; auch ein noch kindliches Mädchen konnte zehn Dollar einbringen. Aber wer sollte wohl an diesem kranken, schwächlichen Geschöpf Interesse haben?
    »Ich habe die zwei Dollar nicht«, antwortete sie ruhig. »Das Kind ist krank und wird wohl sterben, dann kostet es nochmals zwei Dollar, um es zu begraben — das macht schon vier Dollar.«
    Die Frau zog eine Grimasse. Ihre Augen waren hart. »Also gut, du kannst es für eineinhalb Dollar haben.«
    »Eineinhalb Dollar besitze ich nicht, und ich will das Kind auch gar nicht haben.«
    Gladys ging, und das höhnische Lachen des Weibes klang hinter ihr her. Von den Vorübergehenden hatte niemand die Unterhaltung der beiden Frauen beachtet. Während Gladys sich dem Yamen näherte, stieg von neuem eine Welle des Zornes in ihr auf, eines Zornes, der ihr keine Ruhe ließ, obgleich sie, wie üblich, eine Stunde warten mußte, ehe ihr eine Audienz beim Mandarin gewährt wurde. Als endlich der Gong ertönte und die Soldaten eine große Tür aufstießen, um sie in das Audienzzimmer einzulassen, fieberte sie vor Eifer, ihm von der Kinderhändlerin zu erzählen. Sie kannte aber chinesische Sitten genügend, um zu wissen, daß man einem Mandarin auf keinen Fall sofort mit einer Klage kommen durfte, ganz gleich, wie ernst die Angelegenheit war. Erst kamen die Komplimente. Tief verbeugte sie sich vor der ehrfurchtheischenden roten Gestalt, wie es seit alten Zeiten das Zeremoniell den kleinen Beamten gegenüber den Hohen und Mächtigen vorschrieb.
    »Mandarin, geht es Ihnen gut?«
    »Ja, es geht mir gut. Und wie geht es Ihnen?«
    »Danke, es geht mir gut. Hatten Sie guten Appetit?«
    »Ja, ich habe meine Mahlzeit gegessen. Hatten Sie guten Appetit?«
    »Danke, ja. — Mandarin, geht es Ihren betagten Verwandten gut?«
    »Ja, meinen verehrten Alten geht es sehr gut.«
    So ging es etwa noch eine Minute weiter, und dann, als endlich der Höflichkeit Genüge getan war, überreichte sie ihm einen Zettel, auf dem sie ihren Bericht niedergeschrieben hatte. Es war ein recht kurzer Bericht, denn in diesen ersten Jahren, als sie noch nicht gelernt hatte, chinesisch zu schreiben, mußte sie immer jemanden bitten, das kleine Schriftstück für sie aufzusetzen. Ihre Berichte wurden so zu Meisterstücken der Einfachheit. Diesmal lautete er:
    »Gladys Aylward ist in Chautsun gewesen. Gladys Aylward ist von Chautsun zurückgekehrt.« Der Name des Distrikts oder des Dorfes mochte sich bei jeder Reise ändern, der Text ihrer Berichte änderte sich nicht. Alle Einzelheiten über ihre Arbeit teilte sie dem Mandarin mündlich mit. Ein Lächeln spielte um den Mund des Mandarins, als er das Papier in Empfang nahm. Wenn sie ihn so sah in seinen leuchtend scharlachroten Gewändern, mit hohem Kragen, roter Mütze und weiten, prunkvollen Ärmeln, brauchte sie immer erst einige Minuten, um ihre Schüchternheit zu überwinden.
    »Sie haben mir etwas zu sagen?« begann er.
    Gladys antwortete: »Was tun Sie gegen Kinderhändler?«
    Die dunklen feinen Augenbrauen hoben sich leicht. »Ich verstehe Sie nicht.«
    »Wenige Meter vom Yamen versuchte eine Frau, mir ein Kind für zwei

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