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Eine unbegabte Frau

Eine unbegabte Frau

Titel: Eine unbegabte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Burgess
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Dollar zu verkaufen. Was wird gegen solche Leute unternommen?« .
    Gladys hatte das Gefühl, als ärgerte er sich über ihre Frage. Er schritt zum Ende des Zimmers und zurück, ehe er antwortete.
    »Wir tun nichts«, sagte er dann.
    »Aber das verstehe ich nicht«, ereiferte sich Gladys. »Es ist doch unrecht!«
    »Wenn es sich wirklich um eine Kinderhändlerin handelt, dann gehört sie einer dieser verwegenen und rücksichtslosen Banden an, die jede Einmischung mit furchtbaren Verbrechen beantworten. Ich rate Ihnen, vergessen Sie das alles. Es ist nicht Ihre Angelegenheit.«
    »Aber, Mandarin...«
    »So, nun erzählen Sie mir, was Sie im Distrikt von Chautsun ausgerichtet haben.«
    Das war ein Befehl. Gladys strich die Frau, die sie gesehen, die Worte, die sie gesprochen hatte, in ihrem Geist aus. Ihr Arbeitsbericht dauerte eine halbe Stunde. Als sie geendet hatte, nickte der Mandarin mit dem Kopf, nahm den kleinen Hammer auf und schlug mit ihm den Gong. Auf dieses Signal öffneten sich die Türen, die Audienz war beendet. Als sie sich wandte, um hinauszugehen, hielt er sie mit einer Handbewegung zurück:
    »Was die Kinderhändlerin betrifft, so sagt das Gesetz, daß Ai-weh-deh auf sie nicht zu achten, sondern auf die andere Straßenseite hinüberzugehen hat. Und sie wird über meine Worte Stillschweigen bewahren. — Gehen Sie!«
    Die Türen standen offen. Gladys ging auf sie zu, tiefe Enttäuschung im Herzen über diesen Mann, für den sie soviel Achtung empfunden hatte. Plötzlich drehte sie sich noch einmal um:
    »Ich muß Ihnen leider gestehen, Mandarin, daß ich nicht nur nach China gekommen bin, um die hiesigen Gesetze zu beachten: ich kam um der Liebe Jesu Christi willen, und nach seiner Lehre werde ich handeln, was Sie auch dazu sagen mögen.«
    Das war ein ausgezeichneter Aktschluß. Ehe noch der überraschte Mandarin Zeit zur Antwort fand, war sie draußen. Viele Monate später, als ihr Verhältnis zu ihm schon vertrauter geworden war, erinnerte er sie an diese Besprechung und sagte ihr, daß sie seine Freundschaft und seine Achtung in dieser Stunde gewonnen habe. Es war das erstemal seit dem Beginn seiner offiziellen Tätigkeit, daß eine Person, sei es Mann oder Frau, es gewagt hatte, seine Unfehlbarkeit als Mandarin in Frage zu stellen. Ganz gewiß aber war es das erstemal in seinem Leben, daß eine Frau ihm gegenüber ihre Meinung in dieser selbständigen Weise vertrat.
    Gladys ging mit schnellen Schritten die Hauptstraße hinunter. Das Weib saß noch immer dort. Als sie Gladys sah, rief sie: »Dame mit dem Herzen voll Erbarmen! Da bist du wieder. Komm, ich verkaufe dir das nette Kind für einen Schilling.«
    Gladys blieb stehen und sah sie nachdenklich an. »Ich habe keinen Schilling.«
    »Wieviel willst du denn dafür geben?«
    »Ich habe fast kein Geld, und was soll ich mit dem Kind anfangen?«
    »Aber du willst es doch so gerne!«
    Eben wollte Gladys ihr eine scharfe Antwort auf die freche Bemerkung geben, da hielt sie inne. Wirklich! — Sie wollte das Kind haben.
    »Was willst du geben?« fragte die Frau schmeichlerisch.
    Gladys suchte in ihrer Jackentasche. Sie hatte einen kupfernen Zhen darin, nach englischer Währung also etwa nine pence — sie kramte ihn heraus.
    »Ich gebe dir diesen Zhen, aber nicht einen Käsch mehr.«
    Die Frau streckte die Hand aus, um das Geld zu nehmen. »Also gut«, sagte sie, stand auf und ging eilig davon. Gladys blickte auf das Kind hinab. Sein Alter war unbestimmbar, es mochte etwa zwischen vier und sechs Jahren alt sein.
    »Komm mit mir«, sagte sie freundlich. Das Kind bewegte sich nicht, es schien sie nicht einmal recht verstanden zu haben. Gladys faßte es am Arm und zog es mehr oder weniger die Hauptstraße entlang, durch das Tor und in ihre Herberge. Im Wohnraum lief es sofort in die dunkelste Ecke und kauerte sich dort zusammen, zitternd vor Furcht. Gladys holte Chang, den Koch, herein, um ihm zu zeigen, was sie mit nach Hause gebracht hatte.
    »Das haben Sie ja wunderbar gemacht!« rief Chang ironisch.
    »Was wollen Sie denn mit einem solchen Kind? Das wird in kurzer Zeit sterben.«
    »Gib ihm etwas zu essen«, sagte Gladys. »Das arme Mäuschen sieht aus, als wäre es schon halb tot.«
    Chang brachte eine Schale Hirse und setzte sie auf den Boden neben das Kind. Mit hungrigen Augen sah es danach, griff dann blitzschnell die Schale und kauerte sich wieder in seine Ecke, um gierig den Inhalt zu verschlingen.
    »Mit dem Kind werden wir noch viel Ärger

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