Eine unbegabte Frau
durch die Berge zurück zu seinen Männern ging. Gladys traf ihn später noch einige Male, aber stets in Gegenwart anderer, und nie fanden sie Zeit, mehr als ein Lächeln oder einen Gruß auszutauschen. Nach vielen Monaten hörte sie in Tsechow von seinem Tod. Er war durch die Hand der Chinesen gefallen, so lautete der Bericht, doch stritten sowohl Nationalisten als auch Kommunisten jede Beteiligung ab. Vor Gottes Richterstuhl wird er die rechte Antwort wissen, dachte Gladys traurig.
Die Chinesen hielten das Gelände um Tsechow mit grimmiger Zähigkeit während des ganzen Herbstes, Winters und bis in den Vorfrühling des Jahres 1940 hinein. Während dieser Monate schloß Gladys Freundschaft mit dem chinesischen General, dessen Hauptquartier in der Stadt lag. Durch Linnan dort eingeführt, war sie bald ein willkommener Gast in seinem Hause; nach einigen ihrer erfolgreichen Erkundungen übergab er ihr die Kennmarke, die sie den Feldtruppen gleichstellte.
Für Gladys war es eine Zeit wechselvoller, aufregender Tätigkeit. David Davis hatte Tsechow im vorigen Herbst verlassen, um Frau und Kinder und einige Europäer an die Küste zu begleiten, da sie ohne seine Tatkraft wahrscheinlich niemals bis dorthin gelangt wären. Er wollte so bald wie möglich zurückkehren. Gladys hielt sich teils in Yang Cheng, teils in Bei Chai Chuang auf und durchstreifte das ganze Gebiet. Wenn sie ihre kleinen christlichen Gemeinden auf dem Lande und in den Bergen aufsuchte, nützte sie ihre Fahrten zielbewußt dazu aus, Informationen und Lageberichte für die chinesischen Truppen zu sammeln.
Es haben sich sicher wenige Liebesgeschichten unter so außergewöhnlichen Umständen abgespielt wie die zwischen Gladys und Linnan. Sie trafen sich in den unwahrscheinlichsten Augenblicken mitten in den Bergen, in ausgebombten Dörfern, in zerstörten Städten. Sie sprachen miteinander in den sonderbarsten Situationen zwischen Schlachten oder Geburten oder Taufen. Sie tauschten Zettel mit Nachrichten, nahmen schnell miteinander eine Mahlzeit ein und träumten von der Zukunft, an der sie gemeinsam für China arbeiteten. Seine Zärtlichkeit für sie war immer unverändert, dankbar nahm sie das Geschenk seiner Wärme und Sorge an. Auch über ihre Heirat sprachen sie: er drängte auf sofortige Verbindung, auf ein gemeinsames Leben, so gut es eben ging, ob es nun Krieg war oder nicht. Aber Gladys sagte nein. Erst mußte der Krieg gewonnen sein. Unbewußt nahm sie das harte Gesetz für die Partisanen Titos vorweg, der jeden romantischen Abweg seiner Kämpfer schwer bestrafte. Unumstößlich galt für sie der Grundsatz, daß die Vernichtung des Feindes vorgehe; ihr persönliches Glück, ihre Heirat mußte warten.
Sie schrieb ihrer Familie nach England, daß sie im Begriff stünde, einen Chinesen zu heiraten; sie hoffe herzlich, daß man zu Hause Verständnis für diesen Entschluß aufbringe. Ihr Vater schrieb zurück, wenn sie ihres Glückes mit diesem Mann sicher sei, würden sie alle ihre Freude teilen. Den Brief las sie in einer Höhle nicht weit von Yang Cheng. Sie hatte in der Stadt einige ihrer schon vor Jahren getauften Christen besucht und war nun auf dem Rückweg. Wie dieser Brief über den Gelben Fluß gekommen und sie in den Bergen erreicht hatte, das blieb ihr ein Rätsel; jedenfalls hatte ihn ein Bote aus Yang Cheng ihr überbracht. Sie weinte ein bißchen, als sie ihn gelesen hatte, denn sie hatte noch nichts gegessen an diesem Tag als eine Schale voll gekochter grüner Kräuter, die sie an den Hängen gesammelt hatte, und so war es ihr wohl etwas leer im Kopf zumute.
Als der Frühling kam, rückten die Japaner jeden Tag näher an Tsechow heran, das für sie von großer strategischer Bedeutung war. In den Feldern und in den Dörfern im Umkreis einer Meile leisteten die Chinesen heldenhaften Widerstand. Ein ständiger Strom von Verwundeten bewegte sich stadteinwärts durch die Tore; selbst das Gelände der Mission wurde zum Verbandsplatz. Oft ging Gladys mit den Trägern hinaus und bemühte sich um die Verletzten, die auf ausgehängten Türen in die Stadt getragen wurden, denn die vorhandenen Tragbahren reichten bei weitem nicht aus.
Flüchtlinge drängten sich in der Mission und zogen täglich zu vielen Hunderten durch die Hauptstraße. Die Japaner führten immer neue Verstärkungen heran und drückten unaufhaltsam gegen die Verteidigungslinie. Der Lärm des Gewehr- und Artilleriefeuers riß nicht mehr ab.
Und trotzdem war Gladys
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