Eine unbegabte Frau
entschlossen, ihren Posten nicht zu verlassen. Sie hatte nun schon so oft unter japanischer Besatzung gelebt, daß sie es richtiger fand, ihren Leuten gegen die schlimmsten Ausschreitungen japanischer Truppen beizustehen, falls es dazu kommen sollte. Nur die Kinder machten ihr Sorge. Die Mission in Tsechow hatte sich von ihrer Gründung an in besonderem Ausmaß der Waisen angenommen; fünfzig Kinder wuchsen hier auf. Ihre Zahl hatte sich jedoch in den letzten schweren Monaten schnell vergrößert, es waren jetzt über zweihundert kleine Chinesen zu versorgen.
Gladys wußte, daß Frau Tschiang Kai-schek in der weit entlegenen Provinz Schensi eine Stiftung für Kriegswaisen ins Leben gerufen hatte. Waisenkinder aus den vom Krieg verwüsteten Gegenden wurden in der Hauptstadt Sian gesammelt; sie fanden dort Unterkunft, Essen und Kleidung und erhielten sogar etwas Schulunterricht. Im Winter hatte Gladys bereits bei den Behörden der Provinz Schensi angefragt, ob sie mit ihrer Unterstützung rechnen könne. Nach dem zähen chinesischen Widerstand im vergangenen Sommer und Herbst nahm Gladys an, daß die Japaner nicht in der besten Stimmung in Tsechow einmarschieren würden — und sie fürchtete für die Kinder.
Sie erhielt die Antwort aus Sian, daß man dort gern für die Kinder sorgen werde, wenn eine Möglichkeit bestände, sie ihnen zu bringen. Gladys beschloß, wenigstens die Hälfte der Kinder sofort zu schicken, und übertrug Tsin Pen Kuang, einem Christen der Gemeinde von Tsechow, die Leitung der Reise. Mit Geld und Lebensmitteln ausgestattet, machten sie sich auf den Weg zum Gelben Fluß, den sie überqueren und dann die Eisenbahn nach Sian nehmen wollten. Der Transport ging glatt vonstatten, und drei Wochen später hörten sie, daß alle gut angekommen waren. Sie ahnte nicht, unter welchen Umständen sie selbst einmal diese Reise nach Sian bewältigen würde! Tsin Pen Kuang hatte ihr mitgeteilt, daß er sofort zurückreisen werde, so daß er die restlichen hundert Kinder anschließend ebenfalls begleiten konnte. Gladys erwartete ungeduldig seine Ankunft, denn die Verhältnisse in der Mission waren immer schwieriger zu meistern. Sie erwartete ihn umsonst — erst Monate später erfuhr sie, daß die Japaner ihn gefangengenommen und wahrscheinlich erschossen hatten.
Eine Schüssel mit heißem Wasser neben sich, kniete sie gerade neben einem Verwundeten auf dem Boden des Missionshofes, als David Davis von der Reise an die Küste zurückkehrte. Sie hörte eine Stimme hinter sich und erkannte sie sofort; sie drehte sich um mit einem Lächeln des Willkommens — aber ihr Lächeln erstarb vor dem Ausdruck seines Gesichts. Impulsiv platzte sie heraus: »Oh, David, warum mußten Sie gerade jetzt zurückkommen? Mitten in der Gefahr?« Aber noch während sie sprach, kam ihr zum Bewußtsein, daß nichts auf der Welt ihn abhalten konnte, dorthin zu gehen, wo seine Pflicht ihn rief. Nun er seine Familie und die letzten Europäer aus Tsechow in Sicherheit wußte, waren seine Gedanken nur noch bei der Mission. Im Hafen Chifu an der japanisch besetzten Ostküste hatte er um die Erlaubnis gebeten, nach Tsechow zurückzukehren, doch wurde ihm dies verweigert. Er ließ sich jedoch so leicht nicht abspeisen und beantragte eine Genehmigung für den Besuch einer benachbarten Stadt. Das wurde bewilligt. Davis war fest entschlossen, unter allen Umständen zu seiner Mission zurückzukehren, also reiste er mit seinem Paß zu der nahe gelegenen Stadt, für die sein Erlaubnisschein galt, und »verschwand«. Er kannte die chinesischen Menschen und wußte, daß er durchkommen würde, ohne zu verhungern, auch wenn seine Mittel nicht ausreichten. Die Hauptstraßen vermeidend, schlug sich Davis »schwarz« durch, über sechzehnhundert Kilometer weit, auf Umwegen über Land. Jeden Schritt dieser Strecke ging er zu Fuß! Und als er ankam, fand er seine Mission mit Flüchtlingen vollgepackt und mit verwundeten Soldaten belegt. Eine japanische Division kämpfte nicht weit von der Stadt, Verwirrung herrschte überall. Sie fanden keine Zeit, mehr als ein paar Worte zu wechseln, denn Gladys hatte beschlossen, daß die übrigen hundert Kinder sofort in Sicherheit gebracht werden mußten. Es waren bereits Vorbereitungen getroffen, sie noch am selben Tag auf die Reise nach Yang Cheng zu schicken. Einige Missionshelferinnen, die den Transport begleiten sollten, hatten ihre Schützlinge bereits in langer Prozession aufgestellt; Gladys kontrollierte
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