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Eine unbeliebte Frau

Titel: Eine unbeliebte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Von ihm selbst, falls Karol heute wieder nicht auftauchte. Seit ein paar Tagen war der Kerl noch aufsässiger und unverschämter als sonst. Es störte Kampmann nicht im Geringsten, dass Karol hinter Susanne her war wie der Teufel hinter der armen Seele. Susanne hatte dem jungen Mann Hoffnungen gemacht, weil sie annahm, erwürde sich darüber ärgern, aber damit lag sie falsch. Ihm war alles gleichgültig. Im Osten zeigte sich ein schmaler, heller werdender Streifen. In einer halben Stunde würde die Sonne aufgehen, deshalb musste er jetzt schnell füttern und die Pferde auf die Koppel jagen, bevor der erste blöde Einsteller seine Nase in den Stall stecken konnte. Gerade als er die letzte Boxentür hinter sich geschlossen hatte, fiel ihm auf, dass seine Hunde nicht mehr im Stall waren. Kampmann ging an die Stalltür und stieß einen schrillen Pfiff aus. Normalerweise gehorchten die drei Köter gut, aber heute blieben sie verschwunden. Von weitem hörte er ihr Gebell und machte sich mit einem Fluch auf die Suche. Susanne würde wieder lauthals lamentieren, wenn die Hunde auf die Idee kamen, den Misthaufen umzugraben! Er erblickte seine Hunde oben auf dem Hof am verschlossenen Tor, wo sie aufgeregt winselnd hin und her rannten.
    »Hierher!«, rief er mit gedämpfter Stimme. »Los, ihr dämlichen Mistköter!«
    Keine Reaktion. Sie sprangen wie die Irren an dem Tor hoch, jaulten und machten eigenartige Geräusche. Ein flaues Gefühl beschlich Kampmann und verdrängte seine Verärgerung, während er den leeren Parkplatz überquerte. Im dämmerigen Zwielicht des frühen Morgens glaubte er, am Tor die Umrisse eines Menschen zu sehen, mit ausgebreiteten Armen. Leider konnte er auf die Entfernung nicht mehr so scharf sehen wie früher, und für eine Brille war er zu eitel. Die Hunde kamen angerannt, aufgeregt, mit heraushängenden Zungen. Kampmann näherte sich dem Tor und sah mit Grausen, dass es sich bei dem Umriss wirklich um einen Menschen handelte. Es war ein Mann, und er war nackt. Er stand nicht am Tor, sondern jemand hatte ihn dort festgebunden, die Arme ausgebreitet. Es sah aus, als sei er gekreuzigt worden, der Kopf hing schlaff vornüber. Zögernd ging Kampmann noch näher.Die Hunde rannten auf die Gestalt zu, und voller Ekel sah Kampmann, dass sie an den Beinen des Mannes schnüffelten und leckten. Mit Entsetzen erkannte er Friedhelm Döring, um dessen Hals ein Pappschild hing. Seine nackten Beine waren eigenartig dunkel gestreift. Das war – o Gott! – geronnenes Blut! Kampmann las mit wachsendem Grauen den Text, der mit großen Buchstaben auf das Schild geschrieben war. LEVITICUS, 24, 19-20 stand da. Zu Füßen des Mannes stand ein Einmachglas und in dem Glas ...
    Mit einem entsetzten Keuchen fuhr der Reitlehrer zurück, als Döring sich bewegte und leise röchelte. Ihn überfiel ein heftiger Brechreiz, er taumelte zu einem Blumenbeet, um sich zu übergeben.
     
    »Leviticus, Kapitel 24, Vers 19 bis 20«, sagte Bodenstein nachdenklich. »Wenn ich mich nicht täusche, dann ist das die Stelle Auge um Auge, Zahn um Zahn.«
    Als sie vor einer Stunde eingetroffen waren, hatten Notarzt und Sanitäter gerade versucht, den bewusstlosen Friedhelm Döring, der an das Tor gekettet war, zu befreien. Dies hatte sich ohne passendes Gerät als schwierig erwiesen. Bodenstein war auf die Idee gekommen, aus der benachbarten Autowerkstatt einen Mechaniker mit einem Schneidbrenner zu holen. Währenddessen hatten sich Schaulustige versammelt. Die ersten frühen Einsteller kamen, dazu Arbeiter und Angestellte, die in den Büros und Firmen des nahen Gewerbegebiets arbeiteten. Die Sanitäter hatten Döring eine kreislaufstabilisierende Infusion gelegt und festgestellt, dass man ihn tatsächlich seiner Männlichkeit beraubt hatte, und zwar ziemlich professionell. In dem verschlossenen Einmachglas schwammen seine abgetrennten Hoden in einer Formaldehyd-Lösung.
    »Wer tut bloß so etwas?« Reitlehrer Kampmann war am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Er saß mit einer grünlichweißenGesichtsfarbe und am ganzen Körper zitternd auf dem Rand eines der steinernen Blumenkübel. Rings um die Stelle vor dem Tor, wo Döring gefunden worden war, war die Spurensicherung damit beschäftigt, Fußabdrücke und Reifenspuren zu sichern, allerdings ohne große Erfolgsaussicht. Der Boden war knochentrocken, es gab unzählige Fuß-, Huf- und Reifenabdrücke an der Einfahrt. Bodenstein und Pia fragten sich, warum man Döring an das Tor der Reitanlage

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