Eine unbeliebte Frau
eingebildet. Gott sei Dank hatte er sich nicht hinreißen lassen, das Mädchen zu küssen!
»Ich wusste gar nicht, dass Thordis deine Tochter ist«, sagte er lahm.
»Eigentlich wollte ich nur wissen, wie es Micha geht«, Inka ging auf seine Bemerkung nicht ein. »Im Krankenhaus sagen sie mir nichts, und Georg wusste auch nichts Genaues. Weißt du etwas?«
»Ja. Es geht ihm nicht gut. Man musste ihn operieren, und er liegt auf der Intensivstation«, Bodenstein hatte Mühe, sich daran zu erinnern. Er hasste es, am helllichten Tag zu schlafen, denn dadurch geriet sein gesamter Biorhythmus durcheinander. Er fühlte sich verwirrt und unwirklich, wie in einem Traum.
»O Gott«, sagte Inka. Sie sah wunderschön aus, wie sie da vor ihm stand mit den geröteten Wangen und leicht geöffneten Lippen. Plötzlich ergriff ihn bei ihrem Anblick ein heftigesVerlangen, wie ein scharfer Schmerz. Schlagartig lösten sich die letzten fünfundzwanzig Jahre in Luft auf, und ihm war, als sei er wieder achtzehn und dies die letzte Möglichkeit vor seiner Abfahrt nach Hamburg, Inka zu gestehen, wie sehr er sie liebte und brauchte.
»Inka, ich . ich muss die ganze Zeit an das denken, was du am Sonntag gesagt hast, und ich ...«, begann er mit gepresster Stimme. So viele Missverständnisse und verpasste Gelegenheiten!
»Nicht«, unterbrach sie ihn schnell, »bitte, Oliver. Sag nichts.«
»Ich habe dich auch geliebt«, flüsterte er. »Aber ich dachte, dass du und Ingvar, dass ihr .«
»Hör auf damit!«, stieß sie hervor. Er erhob sich und schloss sie in seine Arme. Sie stemmte die Hände gegen seine Brust, aber dann gab sie ihren Widerstand auf und lehnte sich gegen ihn.
»Es ist zu spät, Oliver«, murmelte sie, »bitte. Lass es, wie es ist.«
Es war absolut vernünftig, was sie sagte, aber Bodenstein wollte nicht länger vernünftig sein. Das war er sein Leben lang gewesen.
Mittwoch, 7. September 2005
Friedhelm Döring schlief vom Alkohol benebelt tief und fest. Er lag auf seinem breiten Bett und schnarchte laut, wie immer, wenn er etwas getrunken hatte. Bis zum Schluss der Vernichtungsaktion hatte er die Flasche Wodka ganz geleert, danach war er die Treppe hoch in sein Schlafzimmer mehr getaumelt als gelaufen. Er glaubte zu träumen, als ihn plötzlich jemand an der Schulter rüttelte. Beinahe widerwillig öffnete er die Augen und blinzelte schlaftrunken in grelles Licht. Der Schrecken fuhr ihm in alle Glieder, als er zwei Gestalten mit Strumpfmasken über dem Gesicht vor seinem Bett stehen sah. Der Adrenalinstoß machte ihn mit einem Schlag hellwach und stocknüchtern.
»He!«, er richtete sich auf. »Was soll das? Was tun Sie hier?«
Er erhielt keine Antwort, aber bevor er sich versah, beugte sich eine der beiden vermummten Gestalten über ihn und presste ihm einen nach Äther stinkenden Lappen auf Mund und Nase. Friedhelm Döring versuchte sich zu wehren, aber er spürte, dass seine Bewegungen kraftlos waren, dann fiel er in eine tiefe Bewusstlosigkeit.
Polizeimeister Möhrle gähnte und rieb sich die Finger. Seit zehn Uhr saß er in seinem Auto vor dem Haus von diesem Döring, und seitdem hatte sich dort nichts gerührt, außer dassgegen halb eins die Lichter ausgegangen waren. Das war jetzt zwei Stunden her, und während dieser Kerl gemütlich in seinem warmen Bett lag, froren sich Möhrle und seine Kollegin Nadja Engel in der ersten beinahe schon herbstlich kühlen Nacht dieses Sommers den Hintern ab. Observation nannte man das, und es gehörte mit zu den langweiligsten Aufgaben der Polizeiarbeit. Hin und wieder war es ganz amüsant, vor allen Dingen dann, wenn man hinter dem zu observierenden Subjekt herfahren musste und dabei sein fahrerisches Können unter Beweis stellen konnte, aber nachts vor einem Haus herumzustehen und die misstrauischen Blicke der Anwohner, die mit ihren Hunden spazieren gingen, auf sich zu ziehen, das war ätzend. Möhrle gähnte noch einmal herzhaft. »Wie viel Uhr ist es?«, fragte PM Engel mit verschlafener Stimme. Sie hatten ausgemacht, dass sie immer abwechselnd observieren und schlafen wollten, und im Augenblick war sie mit der Schlafschicht dran.
»Zehn nach drei«, erwiderte Möhrle. »Der Kerl pennt in aller Seelenruhe.«
»Noch drei Stunden, bis wir abgelöst werden«, Nadja Engel wandte sich um und suchte auf dem Rücksitz des Zivilfahrzeuges, das sie für Jobs wie diesen benutzten, die Thermoskanne mit Kaffee. Sie schenkte sich und ihrem Kollegen einen Kaffee ein.
»Du
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